Im irish Folk ist eine offene Session ein lockeres Zusammentreffen und Musizieren von Musikern, die sich
der traditionellen irischen Instrumentalmusik verschrieben haben. Sessions finden meistens in den traditionellen
irischen Kneipen, den sogenannten Pubs statt.
Es gibt auch Sessions, auf denen nahezu ausschließlich Songs und Balladen gesungen werden – sogenannte
song-, singing- oder balladsessions. Sessions basieren auf einem Grundrepartoire an Tunes (Musikstücken),
das jedem Musiker bekannt ist. Ein Tune besteht meist aus zwei unterschiedlichen Parts á acht Takten. Üblich
ist es, mindestens zwei Tunes zu einem sogenannten Set aneinander zu reihen, wobei jeder Tune dreimal
wiederholt wird. Diese einfache Regel ermöglicht ein fließendes Zusammenspiel, welches für den Zuhörer
einstudiert erscheint. Beliebte Grundformen sind der Reel, Jig, Slip Jig, die Hornpipe, die Slow Air, der Slide
und die Polka. Gespielt wird nicht nach Noten, sondern nach Gehör und aus dem Kopf, was für unerfahrene
Sessionmusiker und auch die Zuhörer oftmals sehr anspruchsvoll wirkt. Typische Instrumente sind das Banjo,
die Fiddle (Geige), die Gitarre, verschiedene Flöten (Tin Whistle, Low Whistle, irish flute), die Bouzouki, die
Mandoline, die Uilean pipes (irischer Dudelsack), die Bodhran (irische Rahmentrommel) und die Box oder
Concertina (verschiedene Arten von Ziehharmonikas). Das gemeinsame Spiel aller Musiker wird häufig auch
durch instrumentale Soloeinlagen oder dem behutsam begleiteten Gesang einer Ballade unterbrochen.
Die Gitarre ist ein Musikinstrument aus der Familie der Kastenhalslauten, hinsichtlich der Tonerzeugung ein Saiteninstrument, von der Spieltechnik her ein Zupfinstrument.
Gitarren gibt es in unterschiedlicher Größe und Mensur. Beim Bau der Gitarre werden für den Korpus und den Hals traditionell Hölzer verwendet. Die Mechanik kann je nach Fabrikat (teilweise) aus
Holz, Kunststoff oder veredelten Metallteilen bestehen. Beim Gitarrenbau werden in der Regel spezielle Klanghölzer verwendet – je nach Art und Eigenschaften in unterschiedlichen Kombinationen.
Bei einfachen Instrumenten bestehen Decke und Boden aus Sperrholz. Diese Bauweise ist kostengünstig und darüber hinaus weniger anfällig für Risse, allerdings ist die Klangqualität in der Regel
geringer als bei Gitarren aus Massivhölzern. Die nächste Stufe hat eine Decke aus massivem Holz, und Spitzeninstrumente sind meist komplett aus massiven Hölzern gefertigt. Instrumente wie die Gitarre waren bereits vor 5000 Jahren in Gebrauch. Ein der europäischen Laute ähnliches Instrument ist bereits auf einem Relief aus dem Tempel des Hammurapi
(1792–1750 v. Chr.) zu finden. Ägyptische Zeichnungen zeigen Frauen, die Instrumente wie eine Gitarre aus der Zeit der Pharaonen spielen. Die spanische Vihuela aus der Renaissance ist die Vorform
der heutigen Gitarre. Sie hat einen schmalen Korpus und eine Wirpelplatte. Bei der irish trad. session findet vornehmlich die Westerngitarre ( 6- und 12 saitig) und hauptsächlich als
Rhythmusinstrumernt Anwendung. Die Konzertgitarre wird nur ausnahmsweise in der "singing session" als Melodieinstrument (durch Zupfen) zur Begleitung von Balladen eingesetzt.
Die Mandoline ist ein seit dem 17. Jahrhundert bekanntes Zupfinstrument europäischer Herkunft aus der Familie der Lauteninstrumente. Von der Mandoline existieren zwei Bauformen, die sich deutlich in der Form des Korpus unterscheiden: Die klassische Mandoline, auch neapolitanische Mandoline genannt (ähnlich der Mailänder Mandoline), hat eine flache, abgeknickte Decke, keine Zargen und einen schalenförmigen Korpus (damit gehört sie zu den Schalenhalslauten). Die Flachmandoline wird nach aus dem Cistern- oder Geigenbau entlehnten Konstruktionsprinzipien mit Zargen sowie mit flacher oder leicht gewölbter Decke und ebensolchem Boden angefertigt (und ist damit eine Kastenhalslaute).
Der Bezug beider Bauformen besteht aus vier Saitenpaaren, die wie bei der Violine in g d’ a’ e’’ gestimmt sind.
Das Banjo ist ein recht bekanntes und traditionelles Zupfinstrument. Als Resonanzkörper dient ein runder Rahmen mit Fell-Bespannung. Das Fell lässt sich über Spannschrauben spannen. Das Banjo verfügt über einen langen Hals mit Bünden, war in seiner Urform jedoch bundlos. Banjos haben vier bis sechs Saiten. Entwickelt wurde das Banjo von westafrikanischen Sklaven, die in die Neue Welt verschifft wurden. Sie brachten schmale hölzerne Spießlauten mit. Die erste Erwähnung eines Banjos stammt aus dem Jahre 1678. In der irish trad. session kommt ausschließlich das viersaitige Tenorbanjo zum Einsatz.
Eine Concertina ist ein gleichtöniges oder wechseltöniges Handzuginstrument mit vier-, sechs- oder achteckigem Gehäuse. Im Gegensatz zum Akkordeon hat eine Konzertina keine fest verbauten Akkorde, sondern durchgängig Einzeltöne. Dies ist ein kleines Instrument mit Metallplättchen, welche durch den Luftstrom in Schwingungen versetzt werden. Aus dem Accordion, welches einige Jahre als musikalisches Spielzeug diente, entstand dann die Concertina. Sie ist eine Art elastisches kleines Kästchen, welches man horizontal zwischen beide Hände hält; man spielt sie mittels Knöpfchen, die man mit den Fingerspitzen drückt, und welche eine Klappe öffnen, die durch einen Blasbalg, der zwischen den beiden Seitenwänden des Kästchens befindet, zugeführte Luftsäule auf Blättchen oder Züngelchen aus Metall streichen lassen.
Das Knopfakkordeon oder Knopfharmonika oder Box genannt, ist ein Akkordeon, bei dem nicht nur der Bass, sondern auch der Diskant mit Knöpfen gespielt wird. Im Unterschied dazu, hat das in Deutschland meist übliche Pianoakkordeon auf der linken Seite Knöpfe für den Bass und auf der rechten Seite Tasten (wie beim Klavier) für den Diskant. Auch hierbei handelt es sich um ein Handzuginstrument, allerdings mit fest verbauten Akkorden.
Die Uilleann Pipes (übersetzt „Ellbogenpfeifen“ ) ist der Name für den irischen Dudelsack. Die Namensgebung ist darin begründet, dass die Uilleann Pipes nicht mit dem Mund, sondern über einen mit dem Ellenbogen betätigten Blasebalg mit Luft versorgt werden. Andere Namen sind Union Pipes und Irish Pipes. Sie wurden in der heute gebräuchlichen Form bereits im 18. Jahrhundert (ca. 1760–1780) entwickelt und seit dieser Zeit wenig verändert. Ihr Klang kann als relativ zart und weich (im Vergleich zum scharfen Klang der Great Highland Bagpipes) beschrieben werden.
Die Uilleann Pipes werden im Sitzen gespielt. Unter dem rechten Arm sitzt ein Blasebalg, unter dem linken der Sack. Die drei Drones (Bordunpfeifen) liegen quer über dem Schoß des Spielers. Sie können über ein bedienbares Ventil ein- oder ausgeschaltet werden. Bei perfekter Spielweise werden mit jedem Arm zur gleichen Zeit drei unterschiedliche Spielbewegungen absolviert.
Die Bodhrán ist eine irische Rahmentrommel. Der Durchmesser einer Bodhrán
reicht von 20 cm bei sehr kleinen Exemplaren bis hin zu 50 cm bei sehr großen Exemplaren. Der Rahmen ist mit einem Fell (oft Ziegenfell) bespannt und bei Bedarf mit einem Kreuz
verstärkt. Für die Spieler ist das Spielen mit oder ohne Kreuz eine Geschmacksfrage. Ursprünglich sollte das Kreuz die Stabilität der Trommel erhöhen, da der Rahmen möglicherweise unter der
Fellspannung nachgeben könnte. Eine gute bodhrán benötigt also das Kreuz nicht unbedingt. Moderne
bodhráns besitzen ein mechanisches Stimmsystem, mit welchem es dem Spieler möglich gemacht wird,
die Tonhöhe des Fells zu beeinflussen. Der Name stammt vom irischen Wort bodhar ab, welches taub, stumpf, benommen oder auch dumpf bedeuten kann. Die Rahmentrommeln können auf frühen
Handelswegen nach Irland gekommen sein. Rahmentrommeln sind weltweit vertreten und haben sich eventuell aus Sieben entwickelt, wie sie in frühzeitlicher Landwirtschaft eingesetzt wurden. Die
besten deutschen Spieler sind Plüschke und Wagels und sie spielen jeweils auf "high end"- Instrumenten des deutschen Herstellers Hedwitschak.
Im Jahr 2012 wurde die irish traditional session in Potsdam wissenschaftlich durch eine Studentin der Humboldt Universität Berlin hinsichtlich ihrer Authentizität untersucht. Danke an dieser Stelle Kathrin für die freundliche Genehmigung der Veröffentlichung auf dieser Seite. Auf den folgenden Seiten kann man diese Betrachtung nachlesen und so wird man feststellen, dass diese Session in Potsdam kaum in einem Punkt einer originalen irish traditional session in Irland zurücksteht:
"The irish traditional Session - a little bit ireland in the heart of the city from Potsdam"
Humboldt- Universität zu Berlin | Philosophische Fakultät III
Institut für Musikwissenschaft
Bachelorarbeit
1. Gutachterin: Frau Prof. Dr. M. Wald-Fuhrmann
2. Gutachterin: Frau Dr. J. Toelle
Sommersemester 2012
Über die Irish Tune Session im Walhalla Potsdam
Eine authentisch irische Session?
____________________________________________
About the Irish Tune Session in Potsdam
Is it an authentic traditional Irish session?
Bachelor-Arbeit zur Erlangung des akademischen Grades
Bachelor of Arts (B. A.)
Kathrin Henschen
Studiengang: B. A. Musik & Medien | Erziehungswissenschaften
Fachsemester: 6
Matrikelnr.: 534066
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung ........................................................................................................................... 3
1.1 Was ist eine traditional Irish tune session? ........................................................................ 4
1.2 Ein Abend im Walhalla Potsdam ....................................................................................... 7
1.3 Wie die irische Musik ihren Weg in das Restaurant Walhalla fand ...................................... 9
2. Die Verflechtung verschiedener musikalischer Stile und Eigenheiten .................................. 13
3. Gruppendynamiken ............................................................................................................ 16
3.1 Musik gegen Bezahlung? ................................................................................................... 16
3.2 Gruppeninterne Hierarchien .............................................................................................. 20
3.3 Einstieg und Integration in die Gruppe ................................................................................ 23
3.4 Kriterien für die Aufnahme in die Session-Gruppe ............................................................. 26
3.5 Das soziale Verhältnis der Personen untereinander ........................................................... 29
4. Die Zuhörer ..........................................................................................................................31
5. Die Begrifflichkeiten flow und craic im Zusammenhang mit der Stimmung der
Beteiligten und der Atmosphäre im Restaurant ..................................................................... 35
6. Authentizität ........................................................................................................................ 37
Literaturverzeichnis .................................................................................................................. 41
Anhang A: Beobachtungsprotokoll ......................................................................................... i – iii
Anhang B: Interview von Kathrin Henschen mit Musikern der Session im Walhalla in Potsdam ........................................................................................................................................... I – XXIV
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1.. Einleitung
Eine traditional Irish tune session wird von Restaurant- und Pub-Betreibern unter verschiedenen Namen angekündigt, z.B. als Irish tune session, traditional Irish music session oder lediglich als irische Livemusik. Trotz der Vielfalt der Namensgebungen bezeichnen sie alle in der Regel das Gleiche: eine Zusammenkunft von Musikern an einem bestimmten Ort, um gemeinsam hauptsächlich Tanzmusik zu spielen und sich zu unterhalten. Solche Sessions können jedoch in ihrem Charakter variabel sein. Das betrifft sowohl jene an unterschiedlichen Orten, als auch solche, die regelmäßig an dem gleichen Ort stattfinden, wie die in dieser Arbeit untersuchte Session in Potsdam. Die Variabilität kann von unterschiedlichen Faktoren bestimmt werden. Zu diesen zählen unter anderem die Personenkonstellationen hinsichtlich der Musiker und Zuhörer, welche stetig variieren können. Die Restaurant- oder Pub-Gäste können eine Session scheinbar durch ihr Verhalten und ihr Verständnis einer
solchen zusätzlich beeinflussen.
Die Irish traditional music ist geprägt durch den Austausch und Einfluss anderer Kulturen und Musikszenen. Variabilität scheint daher für diese charakteristisch zu sein, ebenso trifft dies auf die traditional Irish tune sessions zu. Auf Grund dieser Veränderbarkeit stellt sich jedoch die Frage, inwiefern die Authentizität einer Session allgemein definiert werden kann, welche sie als ‚typisch irisch‘ kennzeichnet. Dies soll in dieser Arbeit exemplarisch an der Session im Restaurant Walhalla in Potsdam untersucht werden. Zu diesem Zweck wurden zwei Musiker unter anderem hinsichtlich ihres Verständnisses einer Session und ihrer Charakteristiken, ihren eigenen Erfahrungen dahingehend und mit den Mitspieler und Zuhörern, befragt. Zusätzlich wurden Beobachtungen durchgeführt um das Verhalten der Session-Teilnehmer untereinander, der Restaurantgäste, aber auch die Interaktion beider Seiten zu dokumentieren. Unterstützend wurden Tonaufnahmen angefertigt um den Verlauf der Session, die Gespräche unter den Musikern und mit den Zuhörern, nachzuvollziehen. Die gesamte Untersuchung soll Aufschluss darüber geben, inwiefern diese Potsdamer Session als ‚authentisch irisch‘ gelten kann und welche Kriterien eine solche Bewertung zulassen.
3
1.1 Was ist eine traditional Irish tune session?
Eine traditional Irish tune session ist ähnlich der Jamsession, welche v.a. im Bereich der Jazzmusik abgehalten wird. Die Jamsession ist eine „ursprüngliche Bezeichnung für eine zwanglose Zusammenkunft von Jazzmusikern“ (Brockhaus, 3. Auflage, 2006, S. 305) welche hierbei auf ihren Instrumenten improvisieren und im gängigen Fall auf Arrangements und Notationen verzichten1. Ähnliches trifft auf eine traditional Irish tune session zu. Einige sind „unpaid, spontaneous and irregular“ (Kaul, 2009, S. 119), wobei wiederum andere regelmäßig, angekündigt und bezahlt stattfinden.2Es treffen sich Musiker - Laien und / oder Professionelle – ungezwungen in einem Pub oder einem Restaurant, um gemeinsam zu musizieren und sich zu unterhalten. Das Ideal der Session ist jedoch keineswegs die Regel. Ebenso lassen sich Sessions finden, welche regelmäßig abgehalten und von den Restaurants bzw. Pubs öffentlich angekündigt werden.3 Auch eine Bezahlung der Musiker lässt sich nicht immer ausschließen.4 Es wird unterschieden zwischen „open, informal and staged sessions.“ (Basegmez, 2005, S. 167) Letztere bezeichnet eine Session, welche geplant, vielleicht auch regelmäßig und bezahlt, stattfindet. Die Besonderheit hierbei liegt darin, dass die Musiker eher im Mittelpunkt des Zuhörerinteresses stehen. Hier wird meist eine Art Bühne oder vergleichbares bereitgestellt. Demnach ähnelt eine staged session viel mehr einer perfomance5, als einer ungezwungenen, nicht kommerziellen Session.
Von einer informellen Session ist dann die Rede, wenn sie ungeplant, meist auch unregelmäßig stattfindet und sich die Musiker folglich spontan zusammenfinden um gemeinsam einige Tunes6 zu spielen: „the informal sessions are usually characterised more by democratic sociability and accessibility“ (Basegmez, 2005, S. 167). Hierbei lässt sich jedoch nicht ausschließen, dass sie auch eine offene Session sein kann, wie es bei der hier untersuchten in Potsdam der Fall ist7. Letztere bezieht sich darauf, dass grundlegend jeder an der Session musikalisch teilnehmen und auch jeder zuhören kann, der möchte. Einen ebenso wichtigen Aspekt wie das Musizieren, stellt bei einer traditional Irish tune session die Konversation unter den
1 Vgl.: Brockhaus (3. Auflage, 2006), S. 305.
2 Vgl.: Kaul für Irland (Doolin): Kaul (2009), S. 119.
3 Siehe eine Untersuchung von Sessions in Irland: Basegmez, V. (2005), S. 202.
4 Weiteres zum Prinzip der Spontanität und der Bezahlung von Musikern einer Session siehe: Abschnitt 3.1
Musik gegen Bezahlung?, S. 16ff.
5 Vgl. für Irland u. a.: Basegmez (2005), S. 167.
6 Der Begriff Tune wird hier als gängige Bezeichnung für die in einer Session gespielten Musikstücke verwendet.
Er bezeichnet u. a. sogenannte reels, jigs oder highlands. Diese Begriffe finden auf den nachfolgenden Seiten
weitere Erwähnung.
7 Anm.: Die Potsdamer Session ist eine offene, regelmäßig stattfindende und angekündigte Session.
4
Musikern dar. Die Gespräche finden immer nach ein bis zwei Sets statt und sind ein Charakteristikum für die traditional Irish tune session.8 Bei einer Session kann weniger von reiner Improvisation gesprochen werden, wie sie für die Jamsession kennzeichnend ist9, als vielmehr von der Erarbeitung eines Repertoires, welches sich jeder Musiker mit der Zeit aneignet.10 Aus diesem kann er schöpfen und sollte es idealerweise aus dem Gedächtnis und ohne Noten- oder Akkordvorlage beherrschen.11 Dies führt zu einem fließenderen Spiel und kann den Wechsel von einem Tune zum nächsten erleichtern.
Das Repertoire besteht zu einem Großteil aus sogenannten dance tunes.12 In einer irischen Session ist es v.a. notwendig, dass die Gruppe ein gemeinsames Repertoire besitzt, das sich im Laufe der Zeit jeweils aus denen der einzelnen Spieler zusammensetzt und erweitert.13 Die Zusammenführung eines gemeinsamen Gruppen-Repertoires stellt einen andauernden Prozess dar. Nach und nach stellt sich im Spiel heraus, welche Tunes sich musikalisch und spielerisch besonders eignen. Das Repertoire wächst an, während neue Tunes eingeführt und andere weniger geeignete ebenso wieder verworfen werden. Demnach ist es für das Gruppenspiel wichtig, als Musiker ein breites Repertoire zu besitzen, welches gut beherrscht wird.
Genutzt werden überwiegend Instrumente die als traditionell irisch verstanden werden und sich zudem zum Musizieren in einer Gruppe eignen.14
„The major instruments dating back to the 18th century include fiddles,
harps, whistles, flutes, and bagpipes. Of these instruments, the uilleann
pipes and the harp are the most distinctly Irish representatives […]
Accordions, melodeons, and concertinas were introduced to Ireland in
the late 19th century, and have since become central to the tradition.
Other instruments were adopted in the 20th century.” (Hast & Scott, 2004, S. 70)
8 Vgl. für Irland u. a.: Kaul (2009), S. 43f.
9 Vgl.: Brockhaus Musik (3. Auflage, 2006), S. 305.
10 Vgl. für Potsdam, hinsichtlich der Aussage, dass jeder Musiker ein eigenes Repertoire besitzt: Interview, S.
XV. Vgl. ähnliche Aussage über Musiker in Irland: Williams (2010), S. 130.
11 Vgl. für Irland u. a.: (Hrsg.) Stokes. & von Bohlmann (2003), S. 268. Weitere allgemeine Anmerkungen zum
Session-Repertoire siehe: Hast & Scott (2004), S. 59.
12 Vgl. für Irland u. a.: ebenda S. 148.
13 Vgl. für Irland: Williams (2010), S. 18.
14 Vgl. für genauere Beschreibung der Instrumente u. a.: O’Connor (2000), S. 12; Williams (2010), S. 130-144;
Breathnach (1971), S. 68-91.
5
Die Harfe zählt
wahrscheinlich auf Grund ihrer geringen Lautstärke und ihrer geringen Eignung für das Musizieren in einer Gruppe, nicht zu den typischen Instrumenten einer Session.15 Zum Grundrepertoire der
Instrumente zählen v.a. auch die akustische Gitarre, die Mandoline und die Bouzouki, welche sich als Begleitinstrumente für das Gruppenmusizieren besonders eignen. Willkommen sind bei
einigen traditional Irish tune sessions auch sessionfremde Instrumente.
In der Potsdamer Session sind aus diesem Grund an einigen Abenden auch Instrumente wie u.a. die Drehleier und der Kontrabass zu hören.16 Die traditional17 Irish tune session definiert sich in der Regel als
rein instrumentales Musizieren in einer Gruppe.18 Zu den Tunes einer traditional session können unter anderem
sogenannte reels, jigs, polkas, hornpipes, mazurkas und waltzes zählen.19 Je nach Region und
Teilnehmern der Session können einige davon entfallen und weitere hinzukommen wie z.B. die sogenannte highlands20 welche vorrangig im Norden
Irlands gespielt werden. Balladen, wie sie in der untersuchten Session im Restaurant Walhalla in Potsdam gespielt und gesungen
werden, gehören nach Aussagen der Musiker nicht in das Repertoire einer traditional Irish tune session.21 Dies lässt sich jedoch nicht
endgültig belegen, vielmehr finden sich Hinweise darauf, dass Sessions in Irland durchaus auch einige sean-nós Songs beinhalten können.22 Diese
werden dann als Solo ohne Begleitung von einem Musiker dargeboten.23 Hier lassen sich jedoch Unterschiede in den einzelnen Regionen Irlands und ebenso auch in einem weltweiten Rahmen ausmachen.
Jede Region weltweit, auch innerhalb eines Landes, besitzt bestimmte
15 Die Harfe besitzt in Irland eine lange Tradition und ist ein Wahrzeichen Irlands, siehe z.B. das Abbild einer
Harfe auf den Euromünzen Irlands. Vgl. zur Geschichte und Entwicklung der irischen Harfe und den irischen
Harfenisten (harper) u. a.: Williams (2010), S. 50, 130-132; Rimmer (1984). Für Abbildungen der Harfe auf
einer Euromünze und einem irischen Pfund siehe: Williams (2010), S. 55.
16 Vgl.: Interview, S. VII, XI.
17 Zu weiteren Ausführungen des Begriffs traditional siehe Abschnitt 6. Authentizität, S. 37ff.
18 Vgl. für Irland u. a.: Basegmez (2005), S. 40. Einige Gesangssolos (Balladen oder sean-nós) lassen sich dabei
jedoch nicht ausschließen, siehe nachfolgend. Basegmez nennt auch sean-nós als zweite Form der Irish
traditional music. Übersetzt bedeutet dieses „old style“. Hierbei werden Songs rein gesanglich dargeboten
ohne eine instrumentale Begleitung und in der Regel in Gälisch, der irischen Muttersprache. Vgl. für
weiterführende Informationen über diese Form des Musizierens u. a.: Basegmez (2005), S. 158; Williams
(2010), S. 159-179; Ó Canainn (1979), S. 49-80.
19 Für eine detailliertere, musikalische Beschreibung der einzelnen Tune-Arten siehe u. a.:
Williams (2010), S. 145-153.
20 Für eine musikalische Beschreibung der Highlands siehe u. a.: Williams (2010), S. 151.
21 Vgl.: Interview, S. II-III.
22 Vgl.: Basegmez (2005), S. 158.
23 Dies tat auch der Musiker M4 am Abend des Interviews. Vgl.: Beobachtungsprotokoll, S. i.
6
musikalische Eigenheiten, Vorlieben und Stile.24 Dies spiegelt sich in den Sessions dort wider:
„The boundaries of different traditional music communities in Ireland
are set in tunes, in styles of playing, and in dance types. For Vincent
Griffith, from Feakle, East Co. Clare, a farmer by trade and fiddler by
passion, slides and polkas are symbolic boundaries of the musical
community in Cork and Kerry, and they are not part of the Clare
tradition” (Reiss, 2003, S. 148)
Versucht man die Sessions an unterschiedlichen Orten und auch an einem gleichbleibenden Ort mit festem Musikerstamm zu untersuchen, wird man feststellen, dass die eine nicht immer der anderen gleichen muss. Vielmehr scheint sie v.a. hinsichtlich der musikalischen Vorlieben sehr wandelbar und variabel, wobei im Falle Potsdams die Grundstruktur der Session immer gewahrt bleibt. Dort wurden Balladen mit in das Repertoire aufgenommen, da sie bei einigen Musikern Gefallen fanden.25 In wenigen Worten zusammengefasst ist eine traditional Irish tune session also eine ungezwungene Zusammenkunft von Laien- und Profimusikern in einem Pub, um gemeinsam, in der Regel rein instrumental, dance tunes zu spielen und sich zu unterhalten. Je nach Vorlieben der Spieler können auch Balladen, Tunes aus bestimmten Regionen oder sean-nós Songs mit eingebracht werden.
1.2 Ein Abend im Walhalla Potsdam
Jeden Dienstag von
etwas Mitte August bis Anfang Juli findet ab 21:00 Uhr im Restaurant Walhalla in der Dortustr. 5 in Potsdam
eine – seit 200926 dort etablierte – traditional Irish tune session statt.27 Angekündigt wird diese
offiziell unter dem Titel Irische Livemusik, vor allem da die Musiker
vermuten, dass viele Restaurantbesucher mit dem Begriff der Session wenig vertraut sind.28 Einige der Session-Teilnehmer erscheinen kurz vor 21:00 Uhr, um sich mit ihren Instrumenten
einzurichten, wiederum andere kommen erst im Laufe des Abends hinzu.29 Für die Musizierenden werden zuvor vom Restaurantpersonal zwei Tische zusammen- und bereitgestellt, an denen sie
24 Vgl. für Irland: Basegmez (2005), S. 200.
25 Vgl.: Interview, S. II–III.
26 Vgl.: Interview, S. III, XX.
27 An dieser Stelle soll ein Einblick in einen typischen Abend im Walhalla Potsdam gegeben werden. Detaillierte
Untersuchungen der hier schon angedeuteten Phänomene finden in den anschließenden Abschnitten statt.
28 Vgl.: Interview, S. XVII.
29 Vgl.: Beobachtungsprotokoll, S. ii.
7
Platz nehmen und spielen können. Die Session ist vollkommen in den allgemeinen Tagesbetrieb des Restaurants eingebunden. Folglich kommen und gehen die Gäste vor, während und nach der Session. Es gibt zwei mögliche Orte zum Musizieren, welche je nach Wetterlage und Temperatur genutzt werden. Zum einen besitzt das Restaurant einen bewirteten Innenhof, hier sitzen die Spieler an Tischen die eher am Rand der Gästetische stehen. Zum anderen können die Musiker bei schlechtem und kaltem Wetter im Innenraum des Walhalla Platz nehmen. Dort sind die Musizierenden relativ zentral zwischen den anderen Gästen platziert. Die ankommenden Musiker begrüßen und unterhalten sich, fragen sich nach ihrem Befinden und nehmen die Instrumente aus ihren Transporttaschen, um diese zu stimmen und anschließend griffbereit zu haben. Sobald ausreichend Musiker eingetroffen sind, d.h. in der Regel mindestens drei Personen30 – und damit auch ausreichend großes Repertoire an Instrumenten für eine Session31 – beginnt einer von ihnen, meist ein Stammmitglied32, ein erstes Set. Im Verlauf des Abends kann die Gesamtzahl der Spielenden zwischen drei und zehn Personen, in selteneren Fällen sogar bis zu siebzehn, schwanken. Hinzukommende, bereits in die Gruppe integrierte Musiker, setzen sich während eines Sets meist leise dazu und einige steigen mit ihren Instrumenten in den laufenden Tune mit ein. Nach Beendigung eines Sets
werden die neu Angekommenen begrüßt. Unbekannte Neueinsteiger stellen sich meist selbst der Gruppe vor und erbeten das Mitspielen, was in dieser Session grundsätzlich kein Problem ist. Alle werden freundlich und herzlich in der Gruppe willkommen geheißen. Während der Sets nutzen die Musiker die Pausen um sich miteinander zu unterhalten, Getränke zu bestellen oder Gespräche mit Restaurantgästen zu führen. Bei aufmerksamem Service-Personal ist eine Bestellung nicht nötig, da die Getränke auch ohne diese an den Tisch gebracht oder höflich nach anderen Wünschen gefragt wird. Die Gesprächsthemen reichen vom Privaten bis hin zu musikalischen Nachfragen zum Beispiel hinsichtlich der Herkunft einiger neu eingebrachter Tunes:
„They are often about the musicians‘ personal lives, but importantly, it is
also during these breaks that musicians talk about the music, about
playing, techniques and instruments, about the audience, about
decorations, about the history of tunes, where they first heard them,
and from whom they “got” their tunes.” (Kaul, 2009,S. 132)33
30 Vgl.: Interview, S. XIV-XV.
31 Vgl.: ebd.
32 Musiker die regelmäßig und schon seit einem längeren Zeitraum an der Session teilnehmen, eingeschlossen
die drei Gründer der Session in Potsdam.
8
Die gesamte Session im Restaurant Walhalla ist geprägt von dem Wechsel zwischen Musik und Gesprächen. Die Gäste gehen auf die Musiker zu um ihnen zu sagen, wie sehr ihnen u.a. die Musik gefällt und um von eigenen Erfahrungen mit irischer Musik zu berichten.34 Manchmal beginnen einige Zuhörer zu tanzen.35 Durchaus gibt es Liedwünsche, die die Spielenden bei Kenntnis versuchen umzusetzen.36 Allerdings kommen auch einige Zuhörer auf die Gruppe zu um selber ein Lied, meist gesanglich, beizutragen.37 Die Session dauert im Regelfall zwei bis drei Stunden. Einige Spieler verlassen die Gruppe schon vor dem Ende der Session um nach Hause zu fahren. Letztendlich ist die Session in die normale Arbeitswoche der Musiker integriert.
1.3 Wie die irische Musik ihren Weg in das Restaurant Walhalla fand
Anders als der Begriff der traditional Irish tune session auf den ersten Blick erwarten lässt, stellt sie eine recht junge Erscheinung dar. Die Sessions wie sie heute bekannt sind, kamen in den 1960er Jahren vermehrt auf.38 Es lassen sich mehrere entscheidende, unvermeidbar miteinander verbundene, Prozesse in der Geschichte Irlands und seiner Diaspora feststellen, welche die Irish traditional music weltweit verbreitet und bekannt gemacht haben könnten. Außerdem beeinflussten diese wahrscheinlich maßgeblich das Auftreten von traditional Irish tune sessions in öffentlichen Pubs. Irlands Geschichte ist seit dem 19. Jahrhundert bis ca. 1996 durch Emigration geprägt.39 Den Höhepunkt erreichte sie mit der Great Famine Mitte des 19. Jahrhunderts (1845-50).40 Auf Grund der gescheiterten Kartoffelernte in drei Jahren in Folge und der damit unhaltbaren gesundheitlichen, finanziellen und sozialen Lage, wanderten ca. 1,6 Mio.41 Iren
33 Vgl. für Potsdam u. a.: Interview, S. XII-XII; Beobachtungsprotokoll, S. ii.
34 Vgl.: Beobachtungprotokoll, S. i.
35 Vgl.: Interview, S. V.
36 Vgl.: Interview, S. XVIII.
37 Vgl.: ebd.
38 Vgl. u. a.: Basegmez (2005), S. 165; Williams (2010), S. 17, 148.
39 Vgl. u. a.: Davis, Goodby, Hadfield & Patten (2003), S. 82f.
40 Vgl. u. a.: Hast & Scott (2004), S. 35.
41 Vgl.: ebd.
9
in englischsprachige Regionen aus.42 Ein Großteil von ihnen ging nach Nord Amerika.43 All diese Auswanderer – vermutlich waren auch Musiker unter ihnen – nahmen die Musik ihrer irischen Kultur mit sich. Damit erhielten sie sich wohl einen Teil ihrer Heimat. Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts wurden zunehmend mehr Recordings von irischer Musik in Amerika produziert und veröffentlicht.44 In den 1920er Jahren begann in Irland, Amerika und England das Gruppenmusizieren in sogenannten céilí bands und Irish dance orchestras.45 Im Jahr 1935 wurde in Irland der Public Dance Hall Act verabschiedet. Dieser verbietet bis heute die in Irland beliebten crossroad dances und informellen house dances.46 Stattdessen sollen Tänze in öffentlichen dance halls stattfinden, welche sich besser beaufsichtigen und kontrollieren ließen.47 In Amerika trafen sich Iren vornehmlich in halls, um gemeinsam zu musizieren und sich zu unterhalten.48
Vorgänger der pub session – welche auch heute noch in Irland, Potsdam und wahrscheinlich auch weltweit noch praktiziert wird – ist die sogenannte home session49.
„The contemporary pub session has much in common with its predecessor, the house party. Both are social events in which the sharing of music, song, and dance are part of a larger context.” (Hast & Scott, 2004, S. 48)
Eine home session findet vornehmlich in der Küche oder dem Wohnzimmer eines Privathaushaltes statt.50 Es treffen sich in der Regel die Familie des jeweiligen Veranstaltersund eingeladene Freunde und Nachbarn. Im Gegensatz zur heutigen pub session ist diese ein wesentlich privateres Zusammentreffen, für welche normalerweise eine Einladung notwendig ist.51
„a home session can feature lively stories, poetry, jokes, conversations,
and questions in addition to instrumental music and song. The host […] is
responsible for the congenial atmosphere, the rotating participation of the
guests, the fluid shifting of genres from songs to stories to tunes, and the
42 Vgl. u. a.: Williams (2010), S. 62.
43 Vgl. u. a.: Hast & Scott (2004), S. 35.
44 Vgl. u. a.: Sawyers (2008), S. 242f.
45 Vgl.: Hast & Scott (2004), S. 83.
46 Vgl. u. a.: Williams (2010), S. 17; Sawyers (2000), S. 151.
47 Vgl. u. a.: Williams (2010), S. 17.
48 Vgl. u. a.: Williams (2010), S. 124.
49 Diese sind auch unter anderem Namen bekannt, u. a.: kitchen sessions oder home parties.
Vgl. u. a.: Hast & Scott (2004), S. 43f.; Williams (2010), S. 21f.
50 Vgl.: Williams (2010), S. 21.
51 Vgl.: Williams (2010), S. 22.
10
overall success of the event. Everyone is expected to contribute something
to the enjoyment of the event, including the outsider.” (Williams, 2010, S. 19-20)52
Der Dance Hall Act von 1935 könnte ein Auslöser dafür gewesen sein, dass sich das Musizieren aus dem privaten Raum heraus in die Öffentlichkeit verlagerte. Sean Williams (2010) führt einen weiteren Grund für die pub sessions an, deren Ursprung demnach auch in England zu suchen ist:
„When large numbers of Irish men sought work as laborers in England in the early thwentieth century, they often took lodging at inexpensive boarding houses. The pub was a place of congregation and socializing, and it was there that the musicians could safely play their instruments without disturbing lodgers next door.” (Williams, 2010, S. 17)
In den 40er und 50er Jahren des 20. Jahrhunderts verließen außerdem viele Musiker Irland, da sie dort von dem reinen Musizieren nicht mehr leben konnten.53 Eine Art Wiederbelebung erlebte die Irish traditional music durch das folk revival in den 50er und 60er Jahren.54 Zu dieser Zeit kamen viele sogenannte ballad groups auf55, welche dazu beitrugen irische Balladen zu verbreiteten und ihre Beliebtheit zu steigern. Nicht unwichtig war auch die Arbeit Seán Ó Riadas, dessen „arranged compositions of traditional Irish music“
(Kaul, 2009, S. 45) einen maßgeblichen Anteil an dem folk revival der irischen Musik hatten.56 Er gründete außerdem die ersten „traditional music groups.“ (Basegmez, 2005, S. 289) In den 60er Jahren gab es zunehmend mehr pub sessions und erfreuten sich immer größerer Beliebtheit, v.a. bei den Touristen.57 Die Irish traditional music wurde und wird noch heute durch Recordings, Konzerte, Festivals, Wettbewerbe, Shows, sogenannte summer music schools58 und auch das Internet – v.a. YouTube – weltweit verbreitet.
52 Anm.: Aussparungen in diesem Zitat wurden von der Autorin der vorliegenden Arbeit vorgenommen.
53 Vgl. u. a.: Williams (2010), S. 73.
54 Vgl. u. a.: Kaul (2009), S. 45.
55 Vgl. u. a.: Basegmez (2005), S. 39. Hinsichtlich des ballad booms siehe: O'Flynn (2009), S. 26ff.
56 Vgl. u. a.: Kaul (2009), S. 45. Weitere Informationen zu Ó Riada als Musiker und Komponist siehe
u. a.: Basegmez (2005), S.43.
57 Vgl. u. a.: Kaul (2009), S. 45; Reiss (2003), S. 148.
58 Für detaillierte Informationen zu den summer music schools siehe: Hast & Scott (2004), S. 53-58.
Hinsichtlich der Festivals siehe: Basegmez (2005), S. 42; Broughton et. al. (2000), S. 3.
Hinsichtlich der Shows wie z.B. Riverdance siehe: Kaul (2009), S. 106f.
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Einen wichtigen Aspekt für die pub sessions stellt jedoch auch der Tourismus dar: „without the tourists in Ireland, there would not be as much music played in the pubs.“ (Basegmez, 2005, S. 275)
Durch die touristische Erschließung Irlands59 ist die Anzahl an Pubs und vor allem an Musik in Pubs immens gestiegen.60 Die Musik ist das Aushängeschild vieler dieser Einrichtungen geworden.61 Zudem hat es sich die irische Firma IPCo (Irish Pub Company) zur Aufgabe gemacht, Pubs so ‚authentisch-irisch‘ wie möglich zu bauen und einzurichten, sodass es weltweit möglichst originalgetreue Kopien des Irish public house gibt.62 Die vielen Reisenden, Austauschstudenten und –Schüler usw. welche eine Session in einem irischen Pub – aber auch außerhalb Irlands – besuchen oder daran teilnehmen, bringen ihre Eindrücke und Erfahrungen mit zurück in ihre Heimat bzw. ihren Wohnort. Ebenso zwei der Gründer der Session im Walhalla in Potsdam. Sie lebten einige Zeit in Donegal, im Norden Irlands.63 Zurück in Deutschland suchten sie einen Ort, an dem sie regelmäßig eine traditional Irish tune session veranstalten konnten.64 Die Möglichkeit bekamen beide 2002 in Form des Celtic Irish Pub in der Potsdamer Dortustraße 7.65 Am ersten Tag der Session erschien ein zuvor kennengelernter Freund irischer Musik und wurde auf diese Weise zum Mitbegründer der Session.66 Im Laufe der Jahre fanden sich mehrere Musiker zusammen, bis der Celtic Irish Pub im Dezember 2008 – wohl aus finanziellen Gründen – schloss.67 Die dort eingefundene Gruppe von Musikern versuchte ihr Glück „zwei Türen weiter“ (M1, Interview, S. III). Seitdem findet die traditional Irish tune session im Restaurant Walhalla statt. 68
59 Vgl. anhand des Beispiels von County Clare, v. a. hinsichtlich eines Anstiegs der Touristenzahlen
mit Eröffnung des dortigen Flughafens im Jahr 1944: Kaul (2009), S. 29ff.
60 Vgl. u. a.: Basegmez (2005), S.275.
61 „where it becomes a largely aural wallpaper”, Stokes & von Bohlmann (2003), S. 205.
62 Anm.: Die Marktidee dafür hatte die Brauerei Guinness auf Grund wegbrechender Absätze. Das produzierte
Bier wurde und wird vornehmlich in Irish Pubs ausgeschenkt. Für einen höheren Umsatz sollten weltweit
besagte Pubs entstehen, in den das Getränk verkauft wird. Vgl.: Irish Pub Company. Abgerufen am 20.
September 2012 von Irish Pub Company: http://www.irishpubcompany.com/.
Vgl. ebenfalls einen Artikel zur IPCo mit kurzen Statements der Firma in: Verg, M. (April/Mai 2007).
Atmosphäre nach Maß. GEO Special - Irland , S. 68 -74.
63 Dies geht aus einem privat angefertigten Buch eines Musikers der Session, über eben jene in Potsdam,
hervor.
64 Vgl.: ebd.
65 Vgl.: Interview, S. I.
66 Dies geht aus einem persönlich angefertigten Erinnerungsbuch der Musiker hervor.
67 Vgl.: Interview, S. III, XXI.
68 Vgl.: Interview, S. III, XX-XXI.
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2. Die Verflechtung verschiedener musikalischer Stile und Eigenheiten
Die Auswahl der Tunes einer Session hängt maßgeblich von den teilnehmenden Musikern und ihrem jeweiligen Repertoire ab.69 Aber auch die Region70 und der Veranstaltungsort können Einfluss nehmen auf die Musikauswahl der Spieler einer Session. Der Veranstaltungsort besitzt hierbei jedoch einen eher geringen Anteil, wenn von einer unbezahlten Session ausgegangen wird. In Verbindung mit dem Veranstaltungsort stehen ebenfalls die Zuhörer, welche durch Liedwünsche einige Tunes mitbestimmen können, sofern die Musiker bereit sind, auf diese einzugehen. Im Sinne einer bezahlten Session können der Pub bzw. das Restaurant – somit deren Besitzer – und vor allem seine Gäste wesentlich mehr auf die Musikauswahl Einfluss nehmen.71 Wie schon zuvor aufgeführt, gehen die Spieler der Session im Walhalla in Potsdam den Liedwünschen der Gäste nach, wenn diese im Bereich ihrer Kenntnisse und Fähigkeiten liegen.72 Sowohl in Potsdam, als auch in Irland scheint es je nach Session und Teilnehmern, die Möglichkeit für Musiker aus anderen Regionen zu geben, Titel aus ihrer eigenen Heimat mit einzubringen.73 Aspekte von Region und Musiker sind eng miteinander verknüpft. Jede einzelne Person hat bestimmte Erfahrungen und musikalische Vorlieben im Laufe ihres Lebens gesammelt, welche in bestimmten Regionen vorherrschend sein können. Je nach Ort, in dem der Musiker Erfahrungen gesammelt hat, können folglich seine musikalischen Interessen und auch sein spielerischer Stil geprägt worden sein. Einige Regionen Irlands zum Beispiel haben bestimmte musikalische Stile, Erkennungsmerkmale und verschiedene Tune-Typen nach denen sie unterschieden werden können und die sie auszeichnen.74 Zwei Gründer der Session in Potsdam verbrachten, wie zuvor erwähnt, einige Zeit in Donegal. Zu dem dortigen Repertoire zählen unter anderem sogenannte highlands. Diese Tunes zeichnen sich durch ein hohes spielerisches Tempo aus und sind überwiegend im Norden Irlands vorzufinden.75 Durch den Aufenthalt der zwei Gründer in Donegal und ihre Teilnahme an dortigen Sessions, haben sich scheinbar ihre Vorlieben, Kenntnisse und der Stil beider Personen hinsichtlich
69 Vgl. ab Abschnitt 1.1 Was ist eine tradtional Irish tune session?, S. 4ff.; 3. Gruppendynamiken, S. 16ff.
70 Anm.: Der Begriff ‚Region‘ meint hier das Land, die Stadt oder eine bestimmte geographisch bestimmbare
Region in der die Session stattfindet.
71 Vgl.: Abschnitt 3.1 Musik gegen Bezahlung, S. 16ff. und 4. Die Zuhörer, S. 31ff.
72 Vgl.: Interview, S. XVIII.
73 Für Potsdam vgl.: Interview, S. XVIII. Für Irland vgl. u. a.: Basegmez (2005), S. 171.
74 Vgl. u. a.: Basegmez (2005), S. 198.
75 Vgl.: Williams (2010), S. 151.
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irischer Musik geprägt. Aus diesem Grund sind die highlands Bestandteil der traditional Irish tune session Potsdams.76 Ein anderer Musiker hat wiederum seine musikalischen Erfahrungen im Bereich der deutschen Volksmusik gesammelt.77 Durch seine Neigung zu Balladen und Liedern in deutscher Sprache, bringt er diese ebenso in die Potsdamer Session mit ein. Zu großen Teilen übersetzt er englischsprachige Balladen ins Deutsche und nutzt diese dann als musikalische Auflockerung zwischen den einzelnen dance tune Sets ein. 78 Im Falle der Session in Potsdam wurden Balladen zusätzlich mit integriert. Folglich zeigt sich, dass je nach den Erfahrungen und Vorlieben der einzelnen Teilnehmer, eine Session in ihrer Musikauswahl variabel gestaltet werden kann. Die unterschiedlichen Kenntnisse erlangen die Spieler aus den jeweiligen Regionen, in denen bestimmte Stile und musikalische Eigenarten vorherrschend sind. Einige Musiker in Irland reisen viel und spielen in mehreren
Pubs und lernen somit auch verschiedene Musiker und musikalische Stile kennen und vielleicht auch diese zu spielen.79 Man kann im Hinblick auf die Session in Potsdam von Kulturtransfer80 sprechen. Eine spezifische Art des Musizierens bzw. der Musik, aus einer bestimmten Region – hier die traditional sessions mit dance tunes von Irland und seiner Diaspora – wird durch einzelne Personen mit in eine andere Region und damit auch Kultur eingebracht. Ebenso in der Potsdamer Session. Mit der Zeit können immer wieder neue Musiker – über längere oder kürzere Zeit – hinzukommen, welche eigene Erfahrungen und Kenntnisse mit einbringen.81 Aus diesem Grund kann festgestellt werden, dass keine Session mit einer anderen vergleichbar ist. Der Vermittlungsprozess dieser kulturellen Praktik geschieht also vor allem durch „individuelle Vermittler“ (Lüsebrink, 2003, S. 318) bzw. es findet ein „Austausch unter Individuen“ (Kortländer, 1995, S. 3) statt. Einige der Musiker, z.B. zwei der Gründer, eigneten und eignen sich die Charakteristiken und Musik einer Session praktisch in Irland an, durch die Teilnahme an dortigen. Zudem scheint die Irish traditional music für jeden über einen längeren Zeitraum erlernbar zu sein. Dies trifft sowohl auf den Musikstil einer bestimmten 76 Anm.: Auf Grund ihrer Geschwindigkeit und Kompliziertheit spielen jedoch die wenigsten Musiker der Session in Potsdam die highlands. Diese Tunes werden fast ausschließlich von den zwei Mitbegründern der Session eingebracht. Vgl.: Interview, S. XIX, Beobachtungsprotokoll, S. ii.
77 Vgl.: Interview, S. XVI-XVII.
78 Vgl.: Interview, S. II.
79 Vgl. u. a.: Kaul (2009), S. 122-123.
80 Anm.: Der Definition von Lüsebrink folgend: „Prozesse der interkutlurellen Übertragung und Vermittlung
kultureller Artefakte (wie Texte, Diskurse, Medien, Praktiken) zwischen kulturellen Systemen“, Lüsebrink
(2003), S. 318.
81 Vgl.: Interview, S. VII, XVIII.
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Region zu, als auch z.B. auf Erzählungen über den Ursprung von bestimmten Tunes und die (musikalische) Geschichte des jeweiligen Ortes an dem sich der Musiker befindet, als auch auf bestimmte Eigenheiten der Session:
„the music is adoptable. This is possible because a keen outsider can, over time, enter into the oral tradition of local music, and after listening intently to a local style for many years, they can also begin to hear its aural tradition. Both the oral and aural tradition can be embodied and passed on by the blow-in.” (Kaul, 2009, S. 149)82
Andere Spieler im Walhalla in Potsdam wiederum, scheinen sich diese eher über Imitationanzueignen, quasi „im Sinne einer epigonalen Eigenschöpfung.“ (Kortländer, 1995, S. 8)83 Jede Session besitzt regionale und personenabhängige musikalische Charakteristiken. Das betrifft nicht nur solche an unterschiedlichen Orten wie z.B. in Dublin oder Potsdam, sondern auch Sessions die regelmäßig an einem bestimmten Veranstaltungsort stattfinden, hier das Walhalla in Potsdam. Sie können variieren, unter anderem je nachdem welche Musiker an dem jeweiligen Abend teilnehmen. Neue hinzukommende Musiker bringen manchmal neue Tunes mit ein. Aber auch neu gewonnene Erfahrungen, welche zum Beispiel durch Reisen und Teilnahmen an anderen Sessions gesammelt werden, können in die Session immer wieder einfließen. Grundlegend scheinen in die traditionelle irische Musik musikalische Stile und Eigenheiten unterschiedlicher Regionen mit einzufließen: „Irish music is influenced by music from many nations“ (Basegmez, 2005, S.228). Die Irish traditional music ist also, durch ihre unabdingbare Verbindung mit der irischen Geschichte, geprägt durch den Austausch zwischen verschiedenen Kulturen und Musikstilen. Begründen lässt sich die Vermischung der unterschiedlichen musikalischen Eigenheiten durch die hohe Rate der Emigration aus Irland in andere englischsprachige Länder, folglich durch die irische Diaspora.84 Es scheint unvermeidlich, dass die Eigenheiten der jeweiligen Regionen, in welche die Iren auswanderten – mit in ihre Erfahrungen einflossen. In unserem Sinne vor allem hinsichtlich musikalischer Stile und Eigenheiten. Wie schon zuvor erwähnt reisen einige Musiker
82 Anm.: Der Begriff „blow-in“ wird bei Kaul im Vergleich zum Begriff „locals“ genutzt und bezieht sich auf in
Irland lebende Personen. „All international Members of the community are called blow-ins, and so are Irish
incomers from other locals.” Kaul (2009), S. 89.
83 „Hier bleibt das fremde Muster in der eigenen Produktion deutlich erkennbar.“ Kortländer (1995), S. 8. Dies
trifft zum Beispiel auf M1 des Interviews zu, welcher Balladen – meist mit deutschem Text - mit in die
Session integriert hat.
84 Für die geschichtlichen Entwicklungen der Trad. Irish Tune Session und Irish traditional music vgl.: Abschnitt
1.3 Wie die irische Musik ihren Weg in das Restaurant Walhalla fand, S. 9ff.
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innerhalb Irlands umher, um an unterschiedlichen Sessions teilzunehmen. Auch einige Musiker aus Potsdam sammeln musikalische Erfahrungen durch Reisen und Aufenthalte in Irland und durch Teilnahme oder Beiwohnen dortiger Pub Sessions.85 Allerdings beschränkt sich dies nicht nur auf Regionen Irlands, sondern einige nahmen auch an unterschiedlichen Sessions innerhalb Deutschlands teil.86 Die Kenntnisse und Eindrücke bringen die jeweiligen Musiker wiederum in die Session in Potsdam mit ein. Die „traditional Irish music community is fluid, translocal and transnational.” (Kaul, 2009, S.129) Diese schließt die traditional Irish tune session mit ein. Alles in allem ist diese Musik immer in ‚Bewegung‘, da stetig neue Einflüsse mit einfließen können, es findet ein stetiger Austausch statt. Weiterhin ist sie weltweit wieder zu finden und lässt sich somit nicht auf eine einzige oder wenige bestimmte Regionen eingrenzen. In die Session in Potsdam fließen vor allem die von den Musikern gesammelten Erfahrungen aus Sessions weltweit mit ein. Nicht zuletzt prägt sich der musikalische Stil einer Person jedoch nicht nur durch bestimmte Regionen, sondern vor allem durch andere Musiker. Der Stil anderer Musiker – deren Musik die jeweilige Person vielleicht über einen längeren Zeitraum gehört hat87 – kann sich in dessen Musizieren oder seinen Vorlieben ebenso wiederspiegeln88 wie die Eigenheiten einer bestimmten Region.
3. Gruppendynamiken
3.1 Musik gegen Bezahlung?
„Was kostet ihr?“ (M1, Interview, S. III), war wohl die erste Frage die den Spielern in Potsdam gestellt wurde, als sie auf der Suche nach einem neuen Spielort im Restaurant Walhalla angelangten. Auf Grund dessen, dass die Musiker keine Entlohnung verlangten, wurde ihnen bereits nach der ersten Session angeboten, regelmäßig an den Dienstagen dort zu spielen.89 Als Geste, dass sie für Musik - also für die Unterhaltung der Gäste - sorgen,
85 Vgl.: Interview, S. V-VI, XV.
86 Vgl.: Interview, S. IV, XXIII.
87 Vgl. u. a.: Williams (2010), S. 155.
88 Vgl. u. a.: Williams (2010), S. 19.
89 Vgl.: Interview, S. XXI.
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revanchiert sich das Restaurant90 jeden Dienstag bei ihnen mit der Ausschenkung von Freigetränken91. Deren Anzahl wird jedoch abhängig gemacht von der Anzahl der Gäste im Restaurant.92 Die Ausgabe von vielen Freigetränken bei sehr geringem Besuch des Restaurants, wäre wohl für die Gastronomie in diesem Falle nicht gewinneinbringend, eher im Gegenteil. Zwischen den Musikern und dem Restaurant besteht eine mündliche Vereinbarung93: „a relationship built on reputation and trust.“ (Kaul, 2009, S.125)94. Dieser zu Folge werden die drei Gründungsmitglieder der Session dazu angehalten die „Musik am Laufen zu halten“95, womöglich um die Gäste zu erhalten, zu unterhalten und neue anzuziehen.96 In diesem Sinne profitieren beide Seiten von der Situation. Die Spieler besitzen einen Ort für ihre Session und müssen sich nicht – wie es bei einer privaten home session97 der Fall ist – um die Getränke und entstehende Platzprobleme kümmern.98 Allerdings soll an dieser Stelle auch die Variante der Bezahlung der Musiker beleuchtet werden, denn eine Session kann maßgeblich in mehreren Merkmalen davon bestimmt werden.99 Kaul stellt zwei Typen von Musikern dar, zum einen diejenigen, die vorrangig an der Musik interessiert sind und zum anderen jene die, die Bezahlung in den Mittelpunkt rücken.100 Die Bezahlung kann aus seiner Sicht einen Einfluss auf die Gruppenhierarchie und das Verhältnis der Musiker untereinander haben. Es kann eine gruppeninterne Hierarchie entstehen wenn ein Teil der Gruppe bezahlt wird. In diesem Sinne muss dann von „semiprofessionals“
101 (Kaul, 2009, S.118) und „amateurs“102 (Kaul, 2009, S.118) gesprochen
werden. Ebenso nehmen professionelle103 Musiker an Sessions teil, wie dies unter anderem
90 Anm.: Lässt sich nicht endgültig Belegen, da ein Interview mit den Restaurantbesitzern nicht realisiert
werden konnte.
91 Vgl.: Interview, S. III-IV.
92 Vgl.: Interview, S. IV.
93 Vgl.: Interview, S. III, XX.
94 Vgl. für Irland u. a.: Kaul (2009), S. 125.
95 Vgl.: Interview, S. XX.
96 Lässt sich für das Walhalla nicht endgültig Belegen, da ein Interview mit den Restaurantbesitzern nicht
realisiert werden konnte. Für vergleichbare Aussagen in Irland siehe u. a.: Basegmez (2005), S. 163.
97 Auch unter dem Titel House Session oder Kitchen Session bekannt. Vgl.: Abschnitt 1.3 Wie die irische Musik
ihren Weg in das Restaurant Walhalla fand, S. 9ff.
98 Vgl.: Interview, S. X.
99 Einzelbelege siehe nachfolgend in diesem Abschnitt.
100 Kaul (2009), S. 118.
101 Anm.: Dieser Begriff wird verwendet auf Grund der Bezahlung für die Session. Diese Musiker sind außerhalb
dieser jedoch keine professionellen Musiker.
102 Anm.: Der Begriff „amateurs“ sagt nichts über die musikalischen Fähigkeiten der Personen aus, sondern gibt
in diesem Falle Auskunft darüber, dass diese nicht bezahlt werden.
103 Anm.: „professionelle“ meint hier Musiker, welche auch außerhalb der Session von dem Musizieren leben
können und damit ihr Geld verdienen.
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in Potsdam der Fall ist.104 Normalerweise jedoch besteht der Großteil der Musizierenden in einer traditional Irish tune session aus Laienmusikern.105 Sobald zwischen dem Restaurantbesitzer und einigen Musikern ein mündlicher Vertrag106 mit Bezahlung besteht, erwartet ersterer, dass dieser eingehalten wird. Folglich müssen eben jene Musiker zu der festgelegten Zeit anwesend sein und dafür sorgen, dass die Session im Hinblick auf die Musik ‚läuft‘. Um dies zu gewährleisten, nehmen die entlohnten Musiker meist eine leitende Funktion in der Gruppe ein.107 Einen oder mehrere sogenannte „leader“ (Kaul, 2009, S.118) finden sich jedoch auch in unbezahlten Sessions. Nicht alle Musiker befinden sich von ihren spielerischen Fähigkeiten her auf der gleichen Ebene, aus diesem Grund wird „leadership und responsibility“ (Kaul, 2009, S.118) erforderlich. Im Restaurant Walhalla lässt sich trotz Unentgeltlichkeit Ähnliches erkennen. Auch wenn die Gruppe darum bemüht ist eine gewisse Gleichberechtigung zu erhalten108, haben die Gründer die Aufgabe, nicht zu lange Pausen ohne Musik entstehen zu lassen109. Aus diesem Grund beginnen sie häufiger neue Sets als andere Teilnehmer der Session, geben ihre Führungsrolle jedoch auch zeitweise an andere Mitspieler weiter.110 Abhängig davon welche Musiker erscheinen und wie ihre persönliche Stimmung ist, wechseln die Führungsrollen oder sie sind an einigen Abenden nicht erkennbar.111 Die antreibende Kraft stellen folglich die „regular and paid musicians“ (Basegmez, 2005, S.157) dar. Bezahlte Musiker müssen vom offiziellen Beginn an bis zum Ende bleiben, ungeachtet dessen, ob die Musiker mit der allgemeinen Situation zufrieden sind oder nicht. Nicht selten kann es vorkommen, dass es zu laut ist in einem Pub, sodass die Musiker sich kaum noch selbst verstehen können.112 Auch betrunkene Gäste oder Mitspieler können dem Musiker die Session verleiden.113 Letztendlich ist jedoch eine regelmäßige, angekündigte – in einigen
104 Vgl.: Interview, S. V.
105 Miller & Shahriari (2009), S. 338.
106 Eine mündliche Vereinbarung wie zwischen den Gründern der Session in Potsdam und dem Restaurant lässt
sich auch für Session in anderen Orten belegen und scheint daher kein Einzelfall zu sein. Vgl. für Irland u. a.:
Kaul (2009), S. 128.
107 Vgl. u. a.: Basegmez (2005), S. 157.
108 Vgl.: Interview, S. IX.
109 Vgl.: Interview, S. XX.
110 Vgl.: Beobachtungsprotokoll, S. i. Eine zeitweise Abgabe der Führungsrolle an andere Mitspieler, egal ob
bezahlt oder nicht, ist auch bei entlohnten Sessions möglich. Vgl. hierfür u. a.: Kaul (2009), S. 121.
111 Weiteres hinsichtlich der Hierarchie in der Gruppe, siehe: Abschnitt 3.2 Gruppeninterne Hierarchie, S. 20ff.
112 Vgl. u. a.: Kaul (2009), S. 122.
113 Vgl.: ebd.
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Fällen bezahlte – Session dazu da, Publikum anzuziehen und / oder zu erhalten.114 Die bezahlten Musiker müssen sich dann der gesamten Situation und den Bedingungen anpassen, wenn sie ihrem Vertrag gerecht werden wollen. Allerdings muss an dieser Stelle erwähnt werden, dass die bezahlten Musiker freiwillig diese Verpflichtung eingegangen sind und somit auch ihrer persönlichen Entscheidung unterliegt: „the choice to become a paid musician is a personal one.“ (Kaul, 2009, S.125) Einige der Musizierenden lehnen eine Bezahlung von Grund auf ab um die Eigenheiten einer Session und ihre musikalische und persönliche Freiheit sowie ihren Spaß in diesem Sinne zu erhalten.115 Andere sehen darin womöglich eine Chance von der Musik leben zu können.116 Es ist schon der Fall eingetreten, dass eine gut laufende und spontane Session in einem Pub standfand und von den angekündigten Session-Musikern unterbrochen wurde.117 Letztere wurden schließlich dafür bezahlt eine Session zu einer festgelegten Uhrzeit zu spielen. Andererseits gibt es auch Gegenbeispiele, in denen sich die bezahlten Musiker zu der bereits stattfindenden Session hinzugesellen und sich in diese eingliedern.118 Im Falle der Session in Potsdam sind die Teilnehmer bei störendem Publikum oder Mitspielern nicht verpflichtet, sich diesen anzupassen, sodass sie die Möglichkeit haben eine Session bei Missfallen abzubrechen, auch wenn dieser Fall noch nicht eintraf.119 Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Bezahlung einiger Spieler eine traditional Irish tune session beeinflussen kann. Professionalisierung kann zu einer Gruppenhierarchie führen bzw. diese verstärken. Es kann der Fall eintreten, dass bezahlte Musiker unbezahlte einer anderen, spontanen Session verdrängen. Am Beispiel des Restaurant Walhalla lässt sich jedoch aufzeigen, dass auch in einer nicht vergüteten Session eine Hierarchie unter den Spielern auftreten kann. Die Gründe liegen hier u.a. in der Vereinbarung zwischen dem Restaurant und den Gründern der traditional Irish tune session in Potsdam. Ebenso entscheidend kann es sein, seit wann und wie regelmäßig sie an der Session teilnehmen, also ob sie quasi Stammspieler sind oder nicht.
114 Vgl. u. a.: Basegmez (2005), S. 154.
115 Vgl. u. a.: Kaul (2009), S. 118.
116 Vgl. u. a.: Basegmez (2005), S. 70.
117 Vgl. u. a.: Kaul (2009), S. 119.
118 Vgl.: ebd.
119 Vgl.: Interview, S. XXI-XXII.
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Es lassen sich in einer Session – auch im Walhalla – mehr als nur eine Hierarchie in der Gruppe erkennen. Diese und ihre beeinflussenden Faktoren werden nun nachfolgend beleuchtet.
3.2 Gruppeninterne Hierarchien
Die auffälligste aller gruppeninternen Hierarchien ist jene, die wie schon zuvor erwähnt durch Bezahlung oder andere Vereinbarungen mit dem Restaurant oder Pub entsteht. Im Walhalla übernehmen in diesem Sinne die drei Gründer der Session eine führende Funktion. Um das Spielen von Musik zu erhalten und stille, ungenutzte Pausen zu überbrücken, beginnen sie häufiger ein neues Set, als andere Musiker.120 Die Leitung des Restaurants gewährt ihnen Logis und Freigetränke dafür, dass die irischen Tunes über den gesamten Abend gespielt werden und somit die Gäste unterhalten und womöglich weitere anlocken.121 Dies geschieht fast ausschließlich vor Ort während des Spielens, denn anderweitig wird für die Session kaum geworben. Es befindet sich von Seiten des Restaurants eine kleine Anzeige im lokalen Veranstaltungsmagazin Friedrich unter der Rubrik „regelmäßige Veranstaltungen“122 und es finden sich Ankündigungen dafür auf der Homepage des Restaurants123. In Eigeninitiative eines Musikers wurde die Potsdamer Session für (Teilnahme-) Interessierte am 4. September 2008 auf einer Internetplattform für Sessions bekannt gemacht.124 Eine weitere Hierarchie kann hinsichtlich der musikalischen Fähigkeiten und der Session- Erfahrung der einzelnen Teilnehmer entstehen, wenn auch nicht so auffällig wie die erste. Wie schon zuvor erwähnt sind meistens die Spieler nicht auf dem gleichen musikalischen Niveau. Aus diesem Grund entsteht eine Notwendigkeit, dass diejenigen, die weniger Erfahrungen im Session-Spiel besitzen, von anderen erfahreneren geleitet werden. Im Idealfall nehmen sich die unerfahreneren Musiker dahingehend in ihrem Spiel etwas zurück
120 Vgl.: Beobachtungsprotokoll, S. i.
121 Dies ist eine Vermutung die sich, mangels eines Interviews mit der Restaurantleitung, nicht endgültig
belegen lässt und aus diesem Grund nur als eine These behandelt werden sollte. Vgl. Basegmez (2005), S.
154.
122 Vgl.: Interview, S. XXI. Für einen Einblick in das jeweilig aktuelle Stadtmagazin siehe: friedrich - Zeitschrift für
Berlin Brandenburg. Abgerufen am 24. September 2012 von http://www.friedrich-potsdam.de/index.html
123 Vgl.: Restaurant & Varieté Walhalla. Abgerufen am 24. September 2012 von http://www.walhallarestaurant.
de/veranstaltungen/index.php.
124 Vgl.: Interview S. XVIII , S. XXI und die Internetseite: The Session. Abgerufen am 10. September 2012 von
http://www.thesession.org/sessions/display/2048.
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oder hören nur zu. „Das sind ja auch alles richtig gute Musiker. Da schaue ich von unten immer ganz ehrfurchtsvoll zu ihnen hinauf.“ (M1, Interview, S. II) Auf Grund dessen, dass der zitierte Musiker sich nicht in der Lage sieht auf einem Melodieinstrument mit dem musikalischen Niveau der anderen mitzuhalten, wählte er ein begleitendes Rhythmusinstrument, die irische Rahmentrommel (Bodhrán).125 Wenn es ihm möglich ist steigt er dann behutsam mit dieser in das Spiel der anderen ein oder pausiert.126 Der Aspekt des musikalischen Könnens tritt v.a. auch dann hervor, wenn professionelle Musiker an einer Session teilnehmen. In Potsdam gibt es einen Spieler, der an Wochenenden mit einer Band auftritt, irische Musik spielt und dafür bezahlt wird, quasi ein professioneller Musiker. „Ich kann mich ja auf das Niveau einstellen. Und wenn halt ein hohes Niveau gefordert ist, dann kann ich das bringen. Und wenn, sagen wir mal, ein mittleres Niveau gefordert ist, wie hier, dann macht mir das nichts mit den Musikern zusammen zu sitzen. Mir macht das trotzdem Spaß.“ (M2, Interview, S. V) Wenn man hier von einer Hierarchie ausgeht, dann befindet sich dieser professionelle Musiker während der Session in Potsdam auf derselben Ebene mit den besseren Laienmusikern, denen sich die weniger erfahrenen oder technisch unausgereifteren Spieler dann unterordnen.127 Besonders auffällig ist es, dass sich die gesamte Gruppe zurücknimmt, wenn jemand erfahrenes aus Irland oder naheliegenden Regionen zu Besuch ist und mitspielt. Wenn diese Person möchte, könnte sie wohl jederzeit ein Set beginnen. An einem Abend gesellte sich ein Musikwissenschaftler aus Liverpool hinzu, er hatte bereits in der Gruppe im Walhalla musiziert und seinen Studienabschluss in irischer Musik absolviert. Zeitweise, wenn er gerade im Raum Berlin unterwegs ist, nimmt er auch heute noch an Sessions im Walhalla teil. Hinsichtlich seines Hintergrunds kann er viele neue Tunes und zusätzliche Informationen zu der Musik geben. Er überlässt es jedoch den regelmäßig teilnehmenden Spielern der Potsdamer Session, Sets zu beginnen. Er steigt in den meisten Fällen dann mit einem Melodieinstrument - Tin Whistle oder Irish Flute - in den Tune ein. Einen weiteren wichtigen Punkt im Blick auf gruppeninterne Hierarchien stellt das Alter der Musiker dar. In einem kurzen Gespräch mit einem Bodhrán-Spieler der Gruppe in Potsdam ergab sich, dass für ihn das höhere Alter anderer Mitspieler durchaus
125 Vgl.: Interview, S. I.
126 Vgl.: Beobachtungsprotokoll, S. iii.
127 Anm.: Hinsichtlich des allgemeinen musikalischen Niveaus in der Session in Potsdam soll angemerkt werden,
dass sich ein Großteil der Teilnehmer auf einem ähnlich hohen musikalischen Niveau befindet. Dies geht aus
den Beobachtungen hervor. Vgl.: Beobachtungsprotokoll, S. ii.
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ausschlaggebend ist, sich ihnen gegenüber im Musizieren etwas zurückzunehmen, d.h. ihnenden Vorrang zu lassen.128 In dieser Session stellt das scheinbar die Ausnahme dar. Die Spieler sind zwischen 25 und 50 Jahren129 alt und es wird durch Beobachtungen nicht erkennbar, dass sich die jüngeren den Älteren gegenüber in ihrem musikalischen Einsatz zurücknehmen.
Vielmehr scheinen die musikalischen Fähigkeiten und Erfahrungen ausschlaggebend dafür zu sein, dass einige Personen häufiger Sets beginnen als andere. Ein letzter anzuführender Punkt ist das Charisma einer Person. Eine Person, die besonders charakterstark und charismatisch ist, kann ebenfalls häufiger in einer Führungsposition der Gruppe sein, als andere. Vielleicht liegt es daran, dass bestimmte Charaktereigenschaften, wie z.B. Willensstärke, als prädestinierend gelten für leitende Funktionen. Im Restaurant Walhalla in Potsdam scheint eine Hierarchie hinsichtlich des Charismas einer Person jedoch
nicht zu bestehen. Vielmehr nehmen sich die charismatischen Personen scheinbar hinter den musikalisch Erfahreneren und Versierteren in ihrem Spiel zurück. Dahingehend kann für die gruppeninternen Hierarchien der Session in Potsdam ein Fazit gezogen werden. Die beiden am stärksten Hierarchie fördernden Faktoren liegen hier zum Ersten im Bereich der jeweiligen musikalischen Erfahrung der einzelnen Spieler, ihrer Vertrautheit mit Sessions und ihrem Instrument und zum Zweiten in der Vereinbarung, die die Gründungsmitglieder mit der Restaurantleitung getroffen haben. Sie sollen, wie schon zuvor erwähnt, die Musik am Laufen halten. Folglich lassen sich während dieser Session mehrere Hierarchien erkennen. Je nachdem welche Personenkonstellation an einem Abend besteht, können sich die Hierarchien und somit auch die Session hinsichtlich Abläufen130 und Musikauswahl verändern. In diesem Sinne scheint kein Abend der Session im Walhalla in Potsdam, wie der andere.
128 Vgl.: Interview, S. XX.
129 Vgl.: Interview, S. XXIV.
130 Anm.: Abläufe bezeichnet hier welche Personen vornämlich Sets beginnen und damit v.a. den musikalischen
Ablauf des Abends bestimmen. Hinzu zählt auch das setzen von Gesprächspausen zwischen den Sets.
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3.3 Einstieg und Integration in die Gruppe
Zu einem bereits relativ fest bestehenden Kern an Musikern einer Session kommen nicht selten weitere neue, oft reisende, Musiker hinzu.131 Häufig sind diese im Urlaub, zugezogen oder gerade auf der Durchreise in Potsdam.132 Einige von ihnen suchen gezielt nach Orten, an denen man an einer traditional Irish tune session teilnehmen kann. Fündig werden sie auf der zuvor erwähnten Internetseite www.thesession.org133. Diese Ausschreibung und damit auch Werbung übernahm eines der Gründungsmitglieder der Session. Auf diese Art ist es möglich, für Interessierte Session-Orte weltweit ausfindig zu machen, z.B. auch wenn man im Urlaub an einer solchen teilnehmen möchte. So kommen Personen aus unterschiedlichsten Regionen in das Restaurant nach Potsdam. Es gab bereits Besucher u.a. aus Schweden, Irland, Tschechien und Amerika.134 Einige musikalische Gäste im Walhalla sind jedoch rein zufällig auf die Session gestoßen. So zum Beispiel einige Dubliner, die auf Grund der Weltmeisterschaften der Marching Show Bands135 in Potsdam waren. Auch auf Grund der Musiker, die hin und wieder zu Besuch zur Session in Potsdam kommen, wandelt diese sich stetig. Häufig kommt es zu neuen Personenkonstellationen und somit auch zu neuen gruppeninternen Hierarchien. Viele bringen neue Tunes und persönliche Erfahrungen hinsichtlich traditional Irish tune sessions mit hinein. Diese können das musikalische Repertoire erweitern, sobald sich die Tunes als geeignet für das Spielen in der jeweiligen Gruppe herausstellen. Es stellt sich jedoch die Frage, wie eine neuhinzukommende Person sich in die Gruppe integrieren kann und wie sie in dieser wiederum aufgenommen wird. Häufig ist von unausgesprochenen Verhaltensregeln die Rede, denen man als Neuankömmling, aber auch als bereits in die Session integrierter Musiker, folgen sollte.136 Sean Williams (2010) führt dahingehend vier Verhaltensregeln auf.137 Erstere besagt, dass ein potentieller neuer Musiker zunächst einmal nur als Zuhörer an der Session teilnehmen und erst dann sein Instrument mitbringen sollte. In der Regel wird diese Person dann von einem der regulären
131 Dies lässt sich auch für Orte in Irland belegen. Vgl. u. a.: Basegmez (2005), S. 155; Kaul (2009), S. 122f.
132 Vgl.: Interview, S. XVIII.
133 Der genaue Link der Internetseite befindet sich in der vorliegenden Arbeit auf S. 20, Fußnote 123.
134 Vgl.: Interview, S. XVIII.
135 Die Weltmeisterschaften der Marching Show Bands fanden 2001 und 2010 in Potsdam statt. Für weitere
Informationen siehe: Potsdam.de. (18. Dezember 2007). Abgerufen am 10. September 2012 von
http://www.potsdam.de/cms/beitrag/10039317/469047/.
136 Vgl. für Potsdam: Interview, S. VI.
137 Vgl.: Williams (2010), S. 18-19.
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Musiker dazu aufgefordert mitzuspielen, aber sollte nicht versuchen die musikalische Führung zu übernehmen: „Do not attempt to take the lead.“ (Williams, 2010, S. 18) Bei unbekannten Tunes ist es normal, dass die jeweilige Person aufmerksam und ruhig zuhört und anschließend vielleicht den Titel erfragt. Williams führt in ihrem zweiten Punkt auf: „Some instruments are more welcome than others.“ (Williams, 2010, S. 18) Letztendlich ist es jedoch bei allen Instrumenten wichtig, dass man sie gut spielen kann und beherrscht.138 Da es ein sehr großes Repertoire an Tunes gibt, kann es sein, dass der Neuankömmling oder die Musiker einen gleichen Titel aber aus unterschiedlichen Regionen kennen. Ersterer sollte zu Beginn möglichst bekannte Titel wählen, wenn er um einen Beitrag gebeten wird. Die vierte Verhaltensregel nach Williams betrifft Sänger. Diese sollten möglichst einen „actual Irish song, not (necessarily) one of the Irish American hits.”, wählen. Außerdem kann es auch sein, dass ein Sänger darum gebeten wird, einen Song aus seiner Region oder seiner Heimat zu singen. „Once you have done your song, you are done altogether unless you are specifically invited to sing another, later in the evening. It is appropriate to ask if anyone has already sung the song you plan to do.” (Williams, 2010, S. 18-19) Wahrscheinlich hat jede Gruppe und Person seine eigene Methode mit Neuankömmlingen umzugehen oder andersherum, neu in eine Session einzusteigen. Folglich wird der Einstieg in die Gruppe von Session zu Session unterschiedlich gehandhabt, sowohl in verschiedenen Regionen, als auch am gleichen Veranstaltungsort. Je nachdem wer an dieser teilnimmt und wie jemand eine Teilnahme erbittet, können die Reaktionen der Gruppe variieren. In Potsdam sind v.a. zwei Varianten des Neueinstiegs zu finden. Eine erste beschreibt einer der Musiker, der nun mittlerweile fester Bestandteil der Gruppe geworden ist. Dieser hat ein Jahr lang der Session ausschließlich als Zuhörer beigewohnt.139 Hierbei hat er versucht die Musik und ihren strukturellen Aufbau zu verinnerlichen und überlegt welches Instrument er in der Gruppe spielen könnte.140 Nach dieser Zeit hat er dann „angefragt vorher“141, ob er teilnehmen dürfe. Dies stellte aus Sicht der Anderen scheinbar kein Problem dar. Er hörte auch danach viel zu und stieg behutsam
138 Vgl.: Williams (2010), S. 18-19.
139 Vgl.: Interview, S. I.
140 Vgl.: ebd.
141 Vgl.: ebd.
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und allmählich in das Spiel mit ein.142 Diese Behutsamkeit hat er sich bis heute erhalten, allerdings beginnt er mittlerweile auch häufig, von sich aus eine Ballade mit deutschem Text zu singen und auf seiner Gitarre zu begleiten.143 Die zweite Variante des Einstiegs kann im Walhalla häufig bei Personen beobachtet werden, die aus diversen Gründen zu Besuch in Potsdam sind. Sie haben wohl meist nicht die Zeit, sich die Session über einen längeren Zeitraum nur anzuhören. Daher gehen einige relativ direkt auf den Tisch mit den Musikern zu und erbitten teilnehmen zu dürfen.144 Je nach Charakter der Person kann diese Nachfrage zaghaft oder direkt geschehen. Ihr Instrument haben sie in ihrer Transporttasche bzw. bereits ausgepackt griffbereit oder sie leihen sich eines der Instrumente der anderen Musiker.145 Bis zum jetzigen Zeitpunkt wurden in Potsdam Interessierte in ihrer Bitte um Mitspielen noch nie abgewiesen und offen an den Tisch gebeten.146 Wie gut die Person mit der Gruppe persönlich und musikalisch harmonisiert, stellt sich dann während des Musizierens heraus. Grundsätzlich ist folglich jeder in der Session im Walhalla in Potsdam willkommen. Jedoch gab es auch schon seltene Fälle, in denen ein Gründungsmitglied nach einiger Zeit jemandem mitteilen musste, dass ein gemeinsames Zusammenspiel nicht funktioniert.147 „A session is something the musicians should create together and in co-operation.” (Basegmez, 2005, S. 171) Aus diesem Grund könnten Musiker, welche sich zu sehr in den Vordergrund drängen und möglicherweise ungefragt Solos spielen oder versuchen dauerhaft die musikalische Führung in der Gruppe zu übernehmen, abgelehnt werden. Denn letztendlich sind es die „paid players, the regulars, who set the rules and the character of the sessions.“ (Basegmez, 2005, S. 170) Ein weiteres Problem – welches wahrscheinlich weit häufiger auftritt – stellt die
mangelnde Beherrschung des jeweiligen Instruments dar. Besonders problematisch scheint dahingehend die irische Rahmentrommel zu sein.148 Scheinbar wirkt sie auf Neueinsteiger als ein leicht zu erlernendes Instrument: „Muss man doch nur den Rhythmus aufnehmen.“ (M1, Interview, S. I) Schwierigkeiten haben Session-Spieler dann meist mit der zu hohen Lautstärke der Trommel, sowie mit nicht beherrschten rhythmischen Mustern.149 Als rein
142 Vgl.: Interview, S. I.
143 Vgl.: Interview, S. II; Beobachtungsprotokoll, S. i-ii.
144 Vgl.: Beobachtungprotokoll, S. ii.
145 Vgl.: ebd.
146 Vgl.: Interview, S. VI-VII; Beobachtungprotokoll, S. ii.
147 Vgl.: Interview, S. VII.
148 Vgl.: Basegmez (2005), S. 171f.
149 Vgl.: ebd.
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rhythmusgebendes Instrument sollte sie auch eher im Hintergrund und zurückhaltend gespielt werden. Eine Session lebt von einem möglichst gleichberechtigten und rücksichtsvollen Gruppenmusizieren.150 Wird dieses in Potsdam missachtet oder der neue Musiker drängt sich zu sehr in den Mittelpunkt, wird im Regelfall von einem der Gründungsmitglieder eine klare Absage hinsichtlich des Musizierens in dieser Gruppe erteilt.151
3.4 Kriterien für die Aufnahme in die Session-Gruppe
Wie schon zuvor erwähnt sind in der Session im Walhalla in Potsdam grundsätzlich zunächst alle zur Teilnahme Gewillten willkommen. Erst im Laufe des jeweiligen Abends wird sich herausstellen, ob die Personen mit der Gruppe harmonisieren oder nicht. Von Seiten der bereits integrierten Musiker, scheint es jedoch Kriterien zu geben, die den Verbleib in der Gruppe beeinflussen können. Die Hauptkriterien für die Potsdamer Sessions stellen scheinbar die musikalischen Fähigkeiten der jeweiligen Person und Sympathien von Seiten der Gruppe zu dieser, dar.152 Trotzdem scheint es Sessions zu geben – nicht im Walhalla Potsdam – bei denen es nicht reicht, ein guter Musiker mit ausreichend großem Tune- Repertoire zu sein, sondern auch andere Faktoren scheinen zu zählen: „Your status, gender, country of origin, social circle, age, race, class, language, clothing, and other variables can count either for or against you, often simultaneously.“ (Williams, 2010, S. 18) Ebenso gibt es Sessions mit festen Hierarchien, auf Grund derer neue Musiker nicht zugelassen werden153 oder jene, in welcher eine Gruppe gerne zusammenspielt und einen eigenen Stil entwickelt hat, welchen sie nicht aufgeben möchte.154 Auch hier wird ein Neueinstieg eher schwierig sein, insofern die Person sich dem Stil nicht anpassen möchte. Allerdings gibt es Gegenbeispiele, zu denen auch die Session in Potsdam zählt. Es gibt Gruppen, die Neueinsteiger gerne dazu bringen, an Sessions teilzunehmen, da dort am besten alles über die Session, Spielweisen und Tunes gelernt werden könne.155 Eine Art „master class“ (Kaul, 2009, S. 119) gegeben von den bereits integrierten Musikern.
150 Vgl.: Basegmez (2005), S. 171f.
151 Vgl.: Interview S. VI-VII.
152 Vgl.: Interview, S. II, VIII.
153 Vgl. für Irland u. a.: Williams (2010), S. 19.
154 Vgl. für Irland u. a.: Basegmez (2005), S. 169.
155 Vgl. u. a.: Kaul (2009), S. 132-134.
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„it is little wonder that strict definitions of social status or a musician’s country of origin matter far less than one’s ability to play good music with and for others […] when the bow strikes the fiddle, the quality of the music trumps any consideration of social status and role.” (Kaul, 2009, S. 131)156 sobald neue Musiker mit den anderen der Session zusammenspielen und dies auch rücksichtsvoll tun und ihr Instrument ausreichend gut beherrschen, scheinen also andere soziale Faktoren hinfällig zu sein. Basegmez stellt dahingehend fest: „Musicians often considered the act of playing together as the best way to get to know each other.” (Basegmez, 2005, S.155) Auch sie ist der Meinung, dass heute die Persönlichkeit einer Person und ihr musikalisches Können mehr zählen als früher: „Today it is more a matter of charismatic personality, skillfullness or one’s degree of professionalism in music making.“ (Basegmez, 2005, S. 168f.) Jedoch finden sich in Irland auch elitäre Ansichten, nach denen nur Iren oder Irish-Americans eine „inherent ability“ (Kaul, 2009, S. 138) besitzen, Irish traditional music zu spielen. Mittlerweile spielt auch das Alter der Spieler einer Session heute keine allzu große Rolle im Vergleich zu früher, hinsichtlich der Teilnahme und Hierarchien in einer solchen: „seniority is no longer a guarantee of authority“ (Basegmez, 2005, S. 168)157. Diese Aussage begründet Basegmez vor allem damit, dass zunehmend jüngere Spieler (unter 30 Jahren) an Sessions teilnehmen.158 Allerdings sei grundsätzlich ein bestimmtes Einkommen für das Musizieren notwendig, unter anderem für die Instrumente159 oder womöglich auch für den Unterricht daran. Dies trifft auch auf die Musiker in Potsdam zu, größtenteils sind sie studiert und stehen in einem Arbeitsverhältnis.160 Für sie sind vor allem die Fähigkeiten einer Person entscheidend, wie es auch schon im Abschnitt Gruppeninterne Hierarchien (S. 20ff) deutlich wurde. Der Faktor der musikalischen Fähigkeiten eines Musikers kann maßgeblich sein für die Position, die jemand in der Gruppe einnimmt - auch wenn das Ideal der Gleichberechtigung zumindest in Potsdam immer
156 Anm.: Aussparungen im Zitat wurden von der Autorin der vorliegenden Arbeit vorgenommen.
157 Basegmez bezieht sich hierbei auf die Aussagen von Ó hAllmhuráin (1998), welche er in seinem Buch über
seniority getätigt hatte. Vollständige Literaturangabe: Ó hAllmhuráin, G. (1998). A Pocket History of Irish
traditional music. Dublin: The O’Brien Press.
158 Vgl.: Basegmez (2005), S. 168.
159 Vgl.: Basegmez (2005), S. 83.
160 Vgl.: Interview, S. XX. Die Aussage über das Arbeitsverhältnis der Teilnehmer begründet sich mit den
Beschreibungen einzelner Musiker in einem privaten Erinnerungs-Buch der Teilnehmer über die Session in
Potsdam.
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versucht wird umzusetzen161 – und die Aufnahme in die besagte. Allerdings gibt es, wie in vielen Fällen, auch hier Ausnahmen: „Man hat mich übrigens nicht wegen meiner musikalischen Fähigkeiten hier geduldet. Ich passe gut in die Truppe rein und das ist okay.“ (M1, Interview, S. II) Diese Aussage eines Musikers im Walhalla in Potsdam belegt, dass auch der Charakter eine entscheidende Rolle spielen kann für den Verbleib in einer Session. Bei deutlich geringeren musikalischen Fähigkeiten im Vergleich zur gesamten Gruppe, sollte die jeweilige Person scheinbar zumindest auf persönlicher Ebene mit den anderen Spielern harmonisieren können.162 In diesem Fall könnte quasi über die Qualität der Fähigkeiten hinweggesehen werden. Entscheidend kann hier sein, dass die Person sich dann mit Rücksicht auf ihr (Nicht-) Können etwas zurücknimmt und eine rein begleitende statt eine führende Rolle in der Gruppe übernimmt, um Unstimmigkeiten zu vermeiden. Der zitierte Musiker aus dem Walhalla in Potsdam wurde schon zuvor in einem anderen Zusammenhang erwähnt.163 Er bringt Balladen mit in die Session ein und spielt diese dann meist als Solo oder mit kleiner Begleitung der anderen Musiker.164 Auch wenn er aus Eigeninitiative ein Lied beginnt, übernimmt er jedoch in diesem Fall scheinbar keine direkte Führungsrolle. Vielmehr streut er diese Lieder zwischen einzelne Sets, um die Session musikalisch und für die Zuhörer aufzulockern.165 Außerdem fand er somit eine musikalische Nische – Balladen gehören nur bedingt in das Repertoire einer traditional Irish tune session166 – auf Grund derer er über eine ausschließlich begleitende Funktion hinaus musizieren kann. Anzumerken ist auch der relativ hohe Anteil an Frauen in der untersuchten Session, welche ebenso Sets beginnen, wie die Männer.167 „Only around 10 to 20 % of the musicians are women, at least of those who play in pub session and gigs. […] Older women very seldom play in traditional sessions in pubs; they mostly play in their houses. Younger women feel they are more welcome at public sessions and they can manage to participate in these contexts as long as they are not married and do not have children. […] Nevertheless, young women
161 Vgl.: Interview, S. IX.
162 Vgl. für Potsdam: Interview, S. II.
163 Vgl.: Abschnitt 3.2 Gruppeninterne Hierarchien, S. 20ff.
164 Vgl.: Interview, S. II; Beobachtungprotokoll, S. i-ii.
165 Vgl.: Interview, S. II.
166 Vgl.: 1.1 Was ist eine traditional Irish tune session?, S. 4ff.
167 Vgl.: Beobachtungsprotokoll, S. i.
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seem to be more interested in singing and dancing than in sitting in pubs, drinkingand playing music.” (Basegmez, 2005, S. 86)168 Einer der Hauptgründe für das vermehrte Auftreten von Musikerinnen in der Session in Potsdam scheint das Restaurant als solches zu sein.169 Ein Restaurant kann für eine Frau - ungeachtet des Alters – angenehmer sein, als Abends einen Pub zu besuchen, in welchem vornehmlich betrunkene und aufdringliche Männer sein können.170 Trotzdem gab es auch im Restaurant Walhalla einen Fall in dem eine Frau von einem Betrunkenen belästigt wurde, sodass die Session für eine Weile an diesem Abend pausieren musste.171 Abgesehen davon, scheint es jedoch eine Frage des Wohlbefindens zu sein, unabhängig davon ob es einen Pub betrifft oder ein Restaurant. Die Privatsphäre der Gäste und Musiker sollte gewahrt bleiben, unabhängig von dem jeweiligen Geschlecht.
3.5 Das soziale Verhältnis der Personen untereinander
„Ganz viel wird hier gelacht“ (M1, Interview, S. XIX). Die Schlussbemerkung eines Musikers der Session in Potsdam gibt Aufschluss über die Stimmung und das soziale Verhältnis der Gruppe. Gespräche zu Beginn, zum Ende und während der Pausen werden genutzt um nicht nur musikalische Inhalte, sondern auch Privates auszutauschen.172 Die Gespräche zwischen den Tunes während einer Session stellen einen wichtigen sozialisierenden Moment dar. Durch diese lässt sich die Bindung der Gruppenmitglieder zueinander verstärken. Aber auch das gemeinsame Musizieren hat einen wichtigen Anteil an dem sozialisierenden Effekt einer Session. Durch gemeinsame Aktivitäten, wie das Spielen der Tunes, kann sich ein Zusammengehörigkeitsgefühl der Gruppe entwickeln und sie könnten sich als eine individuelle Gemeinschaft empfinden.173
168 Anm.: Aussparungen im Zitat wurden von der Autorin der vorliegenden Arbeit vorgenommen.
169 Anm.: An einigen Abenden ist nur ein Lebenspartner/in in der Session in Potsdam anwesend. Viele der
Musiker haben recht junge Kinder, welche noch beaufsichtigt werden müssen. Im Beobachtungszeitraum
fehlten v.a. die Frauen. Weitere kurze Erläuterungen zu dieser Thematik siehe Abschnitt 3.4 Das soziale
Verhältnis der Personen untereinander, S. 29f.
170 Vgl. die Beschreibung von Basegmez über ihre Besuche einer Session in einem Pub in Dublin: Basegmez
(2005), S. 154.
171 Vgl.: Interview, S. XXI-XXII.
172 Vgl.: Beobachtungprotokoll, S. ii.
173 Hinsichtlich der Entstehung eines Gemeinschaftsgefühls durch eine Session siehe u. a.: Stokes & von
Bohlman (2003), S. 147.
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Hinzu kommt, dass einige der Musiker der Session in Potsdam gemeinsam mit ihrem Lebenspartner beiwohnen.174 Viele von ihnen haben Kinder, welche – mit einigen Ausnahmen – noch recht jung sind175, sodass diese nicht aktiv an der Session teilnehmen können. So kommt es, dass auch jeweils nur ein Partner an der Session teilnehmen kann, da der andere das (junge) Kind beaufsichtigen muss. An einigen Abenden kommen auch, spontan oder mit Einladung, Freunde der Spieler hinzu, um der Musik der Session zuzuhören. Handelt es sich nur um einzelne Personen welche nicht mitspielen, kann es sein, dass sie gemeinsam mit am Tisch der Musiker sitzen. Meistens setzen sie sich jedoch an einen anderen, wenn sie sich selbst nicht musikalisch beteiligen. Es besteht auch die Möglichkeit, dass sich durch die Session neue Freundschaften entwickeln. Allerdings scheinen diese außerhalb dieser meist nicht intensiviert zu werden. Vielmehr bildet sich während des Spielens eine Art soziale Gemeinschaft: „Man freut sich, sich zu sehen, dass die Leute wieder hierher gefunden haben. Also es verbindet einen das Musikalische, nicht unbedingt das letzte, was zu Hause wieder passiert ist.“ (M2, Interview, S. XII) Unabhängig davon, ob außerhalb der Session private Verbindungen bestehen oder nicht, während dieser herrscht augenscheinlich eine freundschaftliche Atmosphäre. Wenn sich die Musiker untereinander verstehen und sich wohlfühlen, hat dies ebenfalls Auswirkungen auf die Session, v.a. auf die persönliche Stimmung der Musiker und der Zuhörer und somit auch auf die gesamte Atmosphäre im Restaurant. Letztendlich stellen Sessions „social events“ (Kaul, 2009, S. 131) für die Musiker, aber auch für das Publikum dar. Durch das gemeinsame Musizieren und Unterhalten bilden die Musiker eine eigene soziale Gemeinschaft. Nicht zu vergessen ist auch die Interaktion mit den Zuhörern, welche einen wichtigen Bestandteil der Session darstellen kann. Wenn diese angemessen und rücksichtsvoll handeln und reagieren hinsichtlich der Spieler und ihrer Musik, können die Zuhörer eine Session positiv beeinflussen: „In a pub, many musicians told me, a session is not a proper session without an audience of some sort. Good sessions require interaction between the musicians and the audience.” (Kaul, 2009, S. 131)
174 Geht aus einem privat angefertigten Buch eines Musikers über eben jene in Potsdam hervor.
175 Vgl.: Interview, S. XXII.
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4. Die Zuhörer
Neben den Musikern, die im Idealfall die Auswahl der Tunes und den Ablauf einer Session bestimmen,176 können auch die außenstehenden Zuhörer auf diese einwirken und die Atmosphäre maßgeblich mitgestalten. „The audience in that sense is just as responsible for creating a social environment as the players.” (Kaul, 2009, S. 115) Trotz dieser Verantwortung der Zuhörer für eine angenehme und soziale Atmosphäre, sind diese für die Musik einer Session nicht unbedingt notwendig.177 Das ist einer der Gründe, weshalb die Musiker gemeinsam, einander zugewandt und somit teilweise mit dem Rücken zu den Zuhörern, sitzen.178 Einige Sessionmusiker in Potsdam empfinden es trotzdem als angenehm, wenn Zuhörer ihnen positive Rückmeldungen hinsichtlich der gespielten Musik geben und die Spieler an ihren jeweiligen Erfahrungen mit irischer Musik teilhaben lassen.179 Vielmehr können die Restaurant- oder Pubgäste im Idealfall sogar als Motivator auf die Musiker wirken.180 Voraussetzung ist dafür jedoch ein rücksichtsvolles und nicht zu aufdringliches und zu lautes Auftreten der Gäste. Bereits ihre Grundhaltung der Musik gegenüber kann entscheidend sein. Wenn der Grundcharakter einer traditional Irish tune session den Zuhörern unbekannt ist, kann es dazu führen, dass diese mit einer anderen Erwartungshaltung an den Abend heran gehen.181 Es kann vorkommen, dass einige Zuhörer eine Performance erwarten und aus diesem Grund verwirrt sind von der ‚Privatheit‘ der Musiker.182 Aus diesem Blickwinkel können auch die vielen Gespräche unter den Musizierenden während der einzelnen Sets für Unverständnis sorgen.183 „The behavior of the audience, for example can easily change a session into a performance despite the behavior of the musicians.” (Kaul, 2009, S. 115) Dies kann dann der Fall sein, wenn sie eine eben solche erwarten und sich dementsprechend erwartungsvoll geben, die Musiker in den Mittelpunkt rücken und dann verwirrt sind von den
176 Anm.: Bei Bezahlung könnte auch der Pub- bzw. der Restaurantbesitzer eine Grundauswahl an Liedern
bestimmen. Außerdem treten dort eher wenige Gespräche unter den Musikern auf, um die Musik laufen
lassen zu können. Entlohnte Musiker müssen zusätzlich vermehrt den Liedwünschen der Zuhörer
nachgehen, sodass diese dann die Auswahl maßgeblich bestimmen würden.
177 Vgl. für Irland u. a.: Williams, S. (2010), S. 10.
178 Vgl. für Irland u. a.: ebd.
179 Vgl.: Interview S. X, XIII-XIV.
180 Siehe am Beispiel Potsdams: Interview, S. X, XIII-XIV.
181 Vgl. für Irland: Kaul (2009), S. 116.
182 Vgl. für Irland: ebd.
183 Vgl. für Irland: ebd.
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Charakteristiken einer Session, eben der Wechsel von Musik und Pausen für Gespräche. Allerdings gehören die Gespräche unter den Musikern zu einer traditional Irish tune session dazu: „ganz viel wird hier auch zwischendurch gesprochen. Das ist auch ein Charakteristikum für die Session.“ (M1, Interview, S. XIX) Ihr Grundcharakter ist nicht performativ, sondern eher familiär. Diese Eigenschaft hat sich aus dem Vorläufer der Pub Session – der House Session – erhalten.184 Demnach geht es den Musikern einer Pub Session nicht darum, Publikumsvorstellungen und Wünsche zu erfüllen, sondern selber Spaß an der Musik zu haben und sich mit anderen Spielern austauschen zu können. Mit anderen Worten: „In a session then, the musicians are socializing, too.” (Kaul, 2009, S. 116) Vielmehr scheint also eher ein geselliges Beisammensein von zentraler Bedeutung zu sein für die Musiker einer Session.185 Allerdings scheint es der Idealfall zu sein, dass die Musiker die Hauptkontrolle über die Session behalten, vor allem im Hinblick auf die Bezahlung einiger Musiker. Liegt eine solche vor, sind diese meist verpflichtet, den Wünschen der Zuhörer nachzukommen, um Stimmung und Musik aufrecht zu erhalten.186 Unbezahlte Musiker können jedoch eine Session auch abbrechen, wenn ihnen die Situation nicht gefällt, z.B. auf Grund des Fehlverhaltens von Mitspielern oder Zuhörern.187 Für den Zuhörer gelten im Ideal ebenso Regeln gegen unerwünschtes Verhalten wie für jeden Teilnehmer einer Session.188 Diese können jedoch je nach Spielort und Spielern variieren. Grundlegend ist ein nicht zu lautes und auffälliges Verhalten der Zuhörer gern gesehen, sodass die Musiker sich problemlos akustisch untereinander verständigen können.189 Außerdem sollten die Zuhörer idealerweise bei instrumentalen oder gesanglichen Solos ruhig sein, um dem jeweiligen Musiker Gehör zu verschaffen.190 Eine zu laute Umgebung kann zu Unmut und in einigen Fällen – wie schon zuvor erwähnt – zum Abbruch einer Session führen.191 Hinzu zählt hierbei auch das Fehlverhalten betrunkener Gäste und
184 Anm.: Für Beschreibung der House Session siehe Abschnitt 1.3 Wie die irische Musik ihren Weg in das
Restaurant Walhalla fand, S. 9ff.
185 Dies trifft auch auf die Session im Walhalla in Potsdam zu. Vgl.: Interview, S. XII-XIII.
186 Siehe auch: Abschnitt 2.1 Musik gegen Bezahlung?, S. 16ff.
187 Vgl. am Beispiel Potsdams: Interview, S. XXI-XXII.
188 Vgl. für Irland u. a.: Basegmez (2005), S. 164.
189 Vgl.: Interview, S. XXIII.
190 Dies funktioniert in einigen Fällen recht gut, jedoch nicht immer. Vgl. für Irland u. a.: Kaul (2009), S. 3; Vgl.
für Potsdam: Interview, S. XI; Protokoll, S. ii.
191 Bei einer andauernd unhaltbaren Gesamtsituation hinsichtlich diverser Punkte, kann es von Seiten der
Musiker auch zu einem gänzlichen Abbruch der Session kommen, sodass diese sich einen neuen Spielort
suchen. Vgl. an einem Beispiel in Irland: Basegmez (2005), S. 155. Für eine Session in Berlin vgl.: Interview, S.IV.
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Mitspieler, welches vermutlich in Pubs nicht selten vorkommt.192 In Potsdam haben die Spieler noch keine Session abgebrochen,193 obwohl es an einigen Abenden einen als sehr hoch empfundenen Geräuschpegel gibt.194 An einem Sommertag (31.07.2012) fand die Session im offenen Hinterhof des Restaurants Walhalla statt.195 Einige Gäste waren an diesem Abend bereits vor den Musikern dort gewesen und schienen nicht auf Grund der Session gekommen zu sein.196 Sie führten dementsprechend während der Musik laute Gespräche. Dies veranlasste die Musiker näher an ihrem Tisch zusammen zu rücken um sich und ihre Instrumente besser hören zu können. Die Akustik scheint auf dem offenen Hinterhof allgemein eher schwierig zu sein für das Spielen von akustischen Instrumenten, sodass die Musiker dort häufig enger bei einander sitzen.197 Ein hoher Geräuschpegel durch die Restaurantgäste erschwert das Musizieren zusätzlich.198 Allerdings sind im Allgemeinen informelle Gespräche der Gäste untereinander eher Normalität während einer Session.199 Dies lässt sich auf den nicht-performativen Charakter einer traditional session zurückführen. Durch die Unterhaltungen der Zuhörer, werden die Musiker scheinbar nicht zu sehr in den Mittelpunkt gerückt, sodass ihnen eine gewisse ‚Privatheit‘ erhalten bleibt. Diese wird durch die Sitzanordnung der Spieler zusätzlich verstärkt. Daraus erkennt man auch, dass die Musiker während einer Session viel mehr für sich spielen, als für und nach den Wünschen der Zuhörer.200 Die Konversation mit den Musikern kann jedoch durchaus erwünscht sein, wie es zum Beispiel in Potsdam zu beobachten ist. Die Spieler dort freuen sich über positive Rückmeldungen der Zuhörer.201 Auf diese Weise wird scheinbar das persönliche Wohlbefinden beiderseits gefördert. Ein gutes Verhältnis zwischen Spielern und Zuhörern kann entstehen und erhalten werden und somit zu einer positiven Atmosphäre während der Session beitragen. Letztere kann in einigen Fällen noch zusätzlich durch den Einsatz der Zuhörer gesteigert werden. Ein Beispiel für die Session in Potsdam sind dahingehend
192 Für Potsdam siehe u. a.: Interview, S. XXI-XXII.
193 Vgl.: ebd.
194 Vgl.: Beobachtungsprotokoll, S. ii.
195 Vgl.: Beobachtungsprotokoll, S. i.
196 Vgl.: Beobachtungsprotokoll, S. ii.
197 Vgl.: ebd.
198 Vgl.: Beobachtungsprotokoll, ebenda; Vgl. für Irland: Kaul (2009), S. 121.
199 Vgl. für Irland: Williams (2010), S. 18.
200 Vgl. u. a.: Kaul (2009), S. 116. Für das Beispiel in Potsdam vgl.: Interview S. IV.
201 Vgl.: Interview, S. X. Auch die Zuhörer freuen sich meistens über eine Interaktion der Musiker mit ihnen, z.B.
durch Gespräche. Vgl. in Irland hierfür u. a.: Basegmez (2005), S. 153.
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spontan aufkommende, durch die dance tunes animierte, Tänze der Restaurantgäste. Letztendlich wird während einer Session hauptsächlich Tanzmusik gespielt. Einige Musiker in Potsdam freuen sich, wenn sie andere Menschen durch ihr Spiel während der Session zum Tanzen animieren können.202 Die Tanzlust der Gäste kann auf die Musiker zurückwirken, so dass auch diese weiter zum Spielen und Aufrechterhalten der Stimmung angeregt werden. Die Stimmung der Musiker kann sich offenbar auf die Zuhörer übertragen und ebenso andersherum.203 Wahrscheinlich bedingen sich beide Seiten in diesem Fall gegenseitig. Als ein Beispiel für ein solches Erlebnis führte ein Musiker den Besuch einiger Iren während einer Session in Potsdam an. Sie begannen spontan zu tanzen und hatten die Stimmung scheinbar auch bei den Musikern dadurch ‚angetrieben‘, sodass die Session unüblicherweise bis ca. 3 Uhr ging.204 Durchaus kommt es während einer traditional Irish tune session zu Liedwünschen von Seiten der Zuhörer.205 In der Regel scheint es abhängig von den jeweiligen Musikern, ob diese erwünscht sind und erfüllt werden. Die Spieler der Potsdamer Session versuchen in der Regel, den Liedwünschen nachzugehen, sofern sie den Titel kennen und beherrschen.206 Meistens klänge dieser jedoch nicht so wie ihn sich die jeweilige Person vorstellt: „es wird meist dann nicht das, was er erwartet. Er hat da so eine bestimmte Vorstellung, hat das mal gehört, die Dubliners oder so, das bringen wir dann natürlich nicht.“ (M1, Interview, S. XVIII) Können die Liedwünsche nicht erfüllt werden, kann es bei einer Session vorkommen, dass die Musiker die jeweilige Person auffordern, den Titel selbst darzubieten.207 In der Potsdamer Session kam es auch vor, dass Zuhörer von sich aus darum gebeten haben einen Titel zur Session beitragen zu dürfen, was dann auch von den Musikern genehmigt wurde.208 Ein weiterer Aspekt, der vor allem dazu führen kann, dass eine Session durch die Zuhörer einer Performance ähnlich wird, ist der Applaus.209 Dieser ist für die Musiker einer traditional
202 Vgl.: Interview S. V.
203 Vgl. für Potsdam: Interview, S. XIV.
204 Vgl.: Interview, S. V.
205 Vgl. für Irland: u. a. Kaul (2009), S. 121.
206 Vgl.: Interview, S. XVIII.
207 Anm.: Dies kann u. a. aus zwei Gründen geschehen. Ersterer wäre, dass die Musiker selber den Titel nicht
kennen oder spielen können. Letzterer kann sein, dass die Musizierenden den Titel nicht spielen wollen und
daher – was auch eine abschreckende Wirkung haben kann oder vielleicht soll – den Nachfragenden um eine
eigene Darbietung bitten. Vgl. hierfür: Kaul (2009), S. 121.
208 Vgl.: Interview S. XVIII.
209 Vgl. u. a.: Basegmez (2005), S. 164.
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Irish tune session normalerweise nicht notwendig.210 Von einigen Spielern im Walhalla in Potsdam wird der Applaus jedoch als positiv – wenn auch eher als nicht notwendig – wahrgenommen, da auf diese Weise das Gefallen der Zuhörer für die Musik und das Musizieren ausgedrückt wird.211 Die Musiker empfinden es auch als positiv und angenehm, wenn Zuschauer während der Musik – solange es nicht zu laut geschieht212 – mitwippen, -klopfen oder ihnen nach und während eines Sets ihr Wohlwollen durch ein Lächeln oder eine kleine Anmerkung bekunden.213
5. Die Begrifflichkeiten flow und craic im Zusammenhang mit der
Stimmung der Beteiligten und der Atmosphäre im Restaurant
Der Begriff craic kann nach Kaul (2009) mehreres beschreiben: „high quality social interactions and conversations, an entertaining night out, or the character of a witty person.”214 Alle drei möglichen Begriffserklärungen können auf die traditional Irish tune session angewendet werden, keine schließt die anderen aus. Craic beschreibt „the quality of general social relations“ (Kaul, 2009, S. 146) und bezeichnet somit hauptsächlich gute, erheiternde usw. Gespräche und Interaktionen unter den Musikern aber auch mit den Zuhörern. Allerdings wird der Begriff auch in einem allgemeineren Sinn gebraucht um eine gelungene Session in ihrem Ganzen zu beschreiben, welche in all ihren Aspekten – Musik, Gespräche, Interaktion – harmonisiert.215 Eine „witty Person“ – geistreich / witzig – steht in der Regel in unmittelbarem Zusammenhang mit unterhaltenden und gelungenen Konversationen, sodass diese im Begriff craic implizit vermutet werden kann. Um das subjektive Empfinden zu verstärken, werden auch Steigerungen des Wortes verwendet: „great craic“ (u.a. Kaul, 2009, S. 141). Einem Musiker – vermutlich auch mehreren – der Session in Potsdam ist der Begriff des craic geläufig. Für ihn bezeichnet er v.a. einen hohen Spaßfaktor hinsichtlich „dem was zwischendurch für (vielleicht) auch an Interaktionen mit dem Publikum gelaufen ist oder auch zwischen den Musikern.“ (M2, Interview S.XIII).
210 Vgl.: Basegmez (2005), S. 164.
211 Vgl.: Interview, S. XXIII-XXIV.
212 Vgl.: Interview, S. XXIII.
213 Vgl.: Interview S. XIX. Für Irland vgl.: Basegmez (2005), S. 164.
214 Vgl. : Kaul (2009), S. 130.
215 Vgl. u. a. : Kaul (2009), S. 130.
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Weiterhin ist ihm bewusst, dass der Begriff sich weniger auf das Musikalische sondern auf den interpersonellen Bereich bezieht.216 Ein zweiter Begriff beschreibt ein ebenso wichtiges Ereignis während der Session, wie gelungene interpersonelle Aktionen: der flow. Der Zeitpunkt wenn „the music takes over“ (Kaul, 2009, S. 141), wenn die Musik in einen Spielfluss gelangt dem sich die Musiker und in der Regel auch die Zuhörer nicht entziehen können. Folglich bezieht sich diese Bezeichnung im Gegenteil zum craic vor allem auf die Musik einer Session und deren Wirkung auf die Spieler und Zuhörer. Einige Musiker im Walhalla Potsdam assoziieren mit einem guten oder eher mitreißenden musikalischen Erlebnis eine Art Sog welcher auf sie und die Zuhörer einwirkt und beschreiben diesen so: „(M2) Also was manchmal bei Sessions entsteht ist so ein Sog. Jedenfalls bei mir als Musiker, weiß ich nicht ob das bei dem Publikum so ankommt. Aber wenn so was passiert, also wenn es einfach alles von sich selber aus passiert, dann kann so ein Sog entstehen. Das kann dann sein, dass sich das Publikum dem auch nicht entziehen kann und das merkt man dann. […] (M1) Wenn die Leute dann mitschwingen und mit den Fingern auf den Tisch klopfen. Das merkt man deutlich dann. […]Man kann dann ein Tune an den anderen setzen und dann ist das nicht nur ein Set, sondern Set, Set, Set, Set, Set [lacht]. Das ist klasse. […] Das ist einfach nicht lang, weil es so schön ist.“ (M1, M2, Interview, S. XIV)217 Der Begriff des Sogs deckt sich auf Grund der Beschreibungen mit denen des flows und bezeichnet somit den gleichen Sachverhalt. Sicherlich wird es noch weitere Bezeichnungen dahingehend geben, welche jede Person als passend empfindet. Die beiden Begriffe craic und flow sind eng verbunden mit denen der Atmosphäre218 und der Stimmung219. Die Stimmung und die Atmosphäre können sich vermutlich gegenseitig bestimmen und beeinflussen. Wiederum scheinen sie auch entscheidend hinsichtlich des Aufkommens von craic und flow zu sein, welche ihrerseits ebenfalls Einfluss nehmen können auf die ersteren beiden. Sie stehen alle quasi in einem Bindungsgefüge. Abhängig davon wie eine Person – sowohl Zuhörer, als auch Musiker – emotional gestimmt ist, kann es zu einer
216 Vgl. : Interview, S. XIII.
217 Anm.: Aussparungen im Zitat wurden von der Autorin der vorliegenden Arbeit vorgenommen.
218 Anm.: Die Atmosphäre meint hier die subjektive Wahrnehmung der Stimmung im Umkreis der Personen, in
diesem Fall der Raum / Ort an dem die Musiker in Potsdam spielen.
219 Anm.: Die Stimmung bezeichnet in dem jetzigen Zusammenhang das Befinden und Empfinden – sowohl
positiv als auch negativ – der einzelnen Personen während einer Session.
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positiven oder negativen Gesamtatmosphäre, gutem craic und /oder flow kommen und so weiter. Auf Grund ihrer Abgängigkeit von den unterschiedlichen genannten Faktoren scheinen craic und flow relativ fragile Ereignisse zu sein. Letztendlich beschreiben diese ein rein subjektives Empfinden, welches sowohl in Irland und Potsdam, als auch vermutlich andernorts auftritt. Trotzdem scheint es, wenn auch subjektiv, von mehreren Personen zu gleich empfunden werden zu können. Somit beschreiben die Begriffe auch ein Gesamt- oder Gruppengefühl hinsichtlich der Musik, der Konversationen und Interaktionen unter allen Beteiligten und Beiwohnenden einer traditional Irish tune session.
6. Authentizität
Da jeder der Musiker eigene Erfahrungen und Kenntnisse in die Session mit einbringt, stellt sich nun die Frage der Authentizität und ob man im Falle der traditional Irish tune session auf Grund ihrer Variabilität überhaupt von einer solchen sprechen kann. Wie definiert sich also die Authentizität einer solchen Session? Hinzu kommt die Überlegung, welche Musik als ‚traditional Irish‘ gelten kann und welche nicht. Festzustellen wo dieser Begriff beginnt und wo er endet ist nicht unproblematisch. “Of the Irish music that one hears today, to tell which is authentically traditional, and which some more recent invention, is not always easy.” (Ardagh, 1995, S. 282) Allerdings macht dies jedoch auch die Irish traditional music aus: "The point remains that traditional music has been adept in the past at absorbing ballroom music and music-hall song, for example, while debate as to where it ends and begins is one of the things which makes it a living form." (Davis & Goodby, 2003, S. 238) Nach John Ardagh sind viele der beliebten Balladen und Songs nicht wie erwartet typisch irische, sondern kommen aus anderen Regionen wie zum Beispiel Schottland oder England oder es sind Kompositionen von Thomas Moore aus dem 19. Jahrhundert und so weiter.220 Entscheidendes Charakteristikum, welches Musik als typisch irisch auszeichnet, ist nicht ihre Entstehungszeit: „It is a question of the melodic style of the song, more than of its date of origins.“ (Ardagh, 1995, S. 284) Gleiches gilt für die heutige Pub Session an sich hinsichtlich ihres recht jungen zeitlichen Ursprungs. Im Bezug darauf scheint der Begriff traditional sich
220 Vgl.: Ardagh (1995), S. 284.
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ebenfalls auf bestimmte Charakteristiken von Musik zu beziehen, welche sie als irisch kennzeichnen. Dahingehend, welche Form des Musizierens in Irland die traditionellere Form ist, gibt es vor allem zwei unterschiedliche Ansichten. Die erste beschreibt das sogenannte sean-nós als ursprünglichste Form des irischen Musizierens. Hier treffen sich ähnlich einer instrumentalen Session Menschen, um gemeinsam zu musizieren. Sie beschränkt sich jedoch auf den reinen Gesang ohne jegliche Begleitinstrumente und die Liedtexte sind meist auf Gälisch (gaelic), der eigentlichen irischen Sprache.221 Die zweite Form stellt die rein instrumentale Tanzmusik dar. Diese wurde genutzt um Tänzer zu begleiten, u.a. bei sogenannten céilís, crossroad dances, später aber auch bei home parties und pub sessions. Die Authentizität – welche Musikform wirklich traditionell irisch ist oder nicht – liegt quasi in der Sicht des Betrachters. Jeder scheint eine eigene Auffassung davon zu besitzen und für sich zu bestimmen, was für ihn authentisch ist. Es ist folglich schwierig zu bestimmen, ob die Session in Potsdam eine authentisch irische ist, oder nicht. Hinzu kommt, dass diese sich auch innerhalb Irlands unterscheiden. Hinsichtlich der in der Arbeit aufgezeigten Aussagen und Beschreibungen über Sessions in Irland und ihrem generellen, aber auch idealisierten Aufbau lassen sich zusammenfassend jedoch Gleichnisse feststellen. Von diesen ausgehend kann definitiv von einer traditional Irish tune session in Potsdam gesprochen werden, auch wenn diese seit 2009 in einem Restaurant statt in einem Pub abgehalten wird. Die Musiker treffen sich nicht aus kommerziellen Gründen, sondern um sich ungezwungen zu unterhalten und zu musizieren, wobei der zwanglose Wechsel von Musik und Gesprächen gewahrt wird. Auch die Sitzformation der Spieler – gemeinsam an einem Tisch mit dem Rücken zum Publikum – entspricht den Schilderungen von Sessions in Irland. Im Walhalla in Potsdam werden zu einem Großteil dance tunes auf den als sessiontypischen bzw. geeigneten Instrumenten gespielt. Trotz allem haben sie etwas Eigenes mit in die Potsdamer Session eingebracht. Dies betrifft Balladen, die in einigen Fällen mit deutschem Text vorgetragen werden, sowie diverse gesangliche Solis mit und ohne instrumentale Begleitung. Allerdings spricht dieser
221 Im Laufe der Geschichte Irlands und seiner Diaspora wurde die englische Sprache zunehmend wichtiger und
stellt heute in Irland die meist gesprochene Sprache dar. Zur Verbreitung und Bewahrung der irischen
Sprache wurde 1884 die Gaelic League gegründet. Vgl. hierzu: Davis, Goodby, Hadfield & Patten (2003), S.
97f. Hinsichtlich Englisch als meist gesprochene Sprache in Irland siehe:
European Commission (Juni 2012). Europeans and their languages - Report (S. 29). Abgerufen am 25.
September 2012 von: http://ec.europa.eu/public_opinion/archives/ebs/ebs_386_en.pdf.
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Punkt nicht gegen die Authentizität hinsichtlich traditioneller irischer Musik. Vielmehr scheint es wie zuvor erwähnt, ein wichtiger Teil dieser zu sein, andere musikalische Einflüsse, Stile und Strömungen in sich aufzunehmen. In einem gewissen Sinn, haben sich die Musiker der Session im Walhalla Potsdam eine eigene Authentizität aufgebaut. “we should see ‘authenticity’ is a discursive trope of great persuasive power. It focuses a way of talking about music. A way of saying to outsiders and insiders alike ‘this is what really significant about this music’, ‘this is the music that makes us different from other people’.” (Stokes, 1997, S. 7) Eben dies ist der Fall in Potsdam. Durch ihre Aussage, eine traditional Irish tune session abzuhalten, teilen sie Außenstehenden, aber auch Sessionerfahrenen mit, dass sie eine bestimmte Musik auf eine ebenso bestimmte Art und Weise spielen. Dennoch kann auch in dem Sinne von einer authentischen irischen Session gesprochen werden, als dass sie die als wichtig und grundlegend erachteten Ideal und Charakteristiken einer traditional Irish tune session sowohl hinsichtlich des musikalischen Aufbaus, als auch auf der zwischenmenschlichen Ebene weitestgehend erfüllen. Letztendlich lässt sich keine irische Urspungs- Session in der Geschichte auftun, die als das authentische Maß aller anderen gelten könnte. Einige Sessions haben sich mit der Zeit gewandelt, von privaten unkommerziellen hinzu touristisch ausgeprägten kommerziellen Sessions. Dies trifft auf die Potsdamer Session jedoch nicht zu. Vielmehr lässt sich feststellen, dass auch Sessions in Irland und anderen Ortes sich stetig wandeln, sodass sie von einem Abend auf den anderen musikalisch aber auch auf zwischenmenschlicher Ebene verschieden sein können. Dies begründet sich vor allem mit wechselnden Personenkonstellationen und sich damit verändernden gruppeninternen Hierarchien. Außerdem hängt es scheinbar von den jeweiligen Persönlichkeiten der Musiker ab, wie offen eine Session musikalisch und sozial ist, zum Beispiel im Umgang mit den Zuhörern oder potentiellen neuen Musikern. Da die Spielerkonstellation variieren kann, scheint auch eine Session von einem Abend auf den anderen wandelbar zu sein. Folglich könnte eine Session an einem Abend vielleicht mehr einer ursprünglichen traditional Irish tune session entsprechen, als an einem anderen. Der Begriff der Authentizität scheint irreführend, denn letztendlich erschafft sich jede Gruppe, auch in Potsdam, eine eigene Auffassung von dem Begriff und was dieser hinsichtlich einer traditional Irish tune session impliziert. Aus der Perspektive der Musiker in Potsdam, kann ihre Session folglich nicht als inauthentisch bezeichnet werden.
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Alles in allem kann festgestellt werden, dass die traditional Irish tune session im Walhalla in Potsdam den Idealen und Grundcharakteristiken einer solchen zu entsprechen scheint und in diesem Sinne auch eine Authentizität für sich beansprucht. Der einzige Unterschied zu einer irischen Session, der als inauthentisch erscheinen mag, liegt letztendlich nur an einem Punkt, wie ein Musiker in Potsdam222 treffend beschreibt: „There are less Germans in Ireland.“ (M4, Interview, S. XXIV)
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An dieser Stelle möchte ich euch eine Literaturempfehlung zum Thema " irish trad. session" geben. Es handelt sich dabei um Kate Thompsen´s Buch "Zwischen den Zeiten". Im englischen Original heisst es "The new policeman". Das Buch handelt von einem Polizisten, welcher neu in einen irischen Ort verstzt wird und nunmehr in Konflikt in der Durchsetzung des geltenden Rechts (z.B. Ausschankschluss) und seinen eigenen Wünschen gerät. Im Verlaufe der Erzählung gerät er auf mysteriöse Weise zwischen die Welten der Realität und der irischen Mythologie von Druiden, Feen und allerlei Sonderbarkeiten.
Jeweils passend zur Situation im Buch werden insgesamt knapp 60 eigene Tunes von Kate Thompson, als auch alte irische Tunes mit Namen und Notation eingebaut. Ein Muss für Beginner im Bereich der irish trad. music.